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You can’t keep a good Band down - 35 Jahre URIAH HEEP im Spiegel des neuen Box-Sets Chapter & Verse (Kapitel 5)



16 Jahre Bandgeschichte, 16 Studio- und ein offizielles Live-Album, diverse Wechsel in der Mannschaft, aber praktisch nur eine Plattenfirma – so haben wir die Geschichte von Uriah Heep in den vergangenen vier Monaten erlebt. Das Schlusskapitel sieht grundlegend anders.
Zwar werden wir die Band wieder viele Jahre lang begleiten. Dieses Mal aber ist der Ausstoß an Studio-Alben bescheiden. Dafür gibt es zuhauf Live-Konserven. Das Line up bleibt in diesem gesamtem Kapitel stabil. Dafür werden die Plattenfirmen wie die Unterhemden gewechselt.
Herzlich willkommen bei der Schlussrunde unseres Uriah Heep-Portraits anlässlich der Veröffentlichung der 6-CD-Box `Chapter & Verse`, mit der der 35 Geburtstag der genialen Hard-Rocker gefeiert wird.



Kapitel 5: Das Einfahren der Ernte

Bernie Shaw – die neue Stimme

Als Uriah Heep noch vor dem Mauerfall als eine der ersten westlichen Bands hinter dem eisernen Vorhang spielen dürfen, sind wieder zwei neue Gesichter auf der Bühne. Sinclair und Goalby wurden von Bernie Shaw am Gesang und Phil Lanzon an den Keyboards abgelöst. Der zwischenzeitliche Tastenmann Steff Fontaine ist auf keiner Veröffentlichung zu hören. Damit ist die dritte klassische Uriah Heep-Formation komplett, die im September dieses Jahres ihr 20-jähriges Dienstjubiläum feiern kann. Damit schlägt sie nicht nur jede andere einzelne Heep-Besetzung. Unter zeitlichem Gesichtspunkt können ihr auch alle vorherigen Line Ups zusammen nicht das Wasser reichen. Im April 2003 spielte sie genauso lange zusammen, wie alle anderen Formationen zusammen und repräsentierte damit genau 50 Prozent der Bandhistory.

Unter kreativen Gesichtspunkt sieht die Bilanz allerdings ganz anders aus. Gerade einmal vier neue Studio-Alben haben Uriah Heep in diesen 20 Jahren veröffentlicht. Daneben gab es aber eine Vielzahl von Live-Alben, die den Heep-Fan teilweise erschöpft fragen lies: “Brauchen wir auch das Album noch?“. Mit diversen Konzepten, Akustik-Live-Album, Mitschnitt eines Auftritts beim Fan-Club oder Veröffentlichung von historischen Live-Mitschnitten wurde die Entscheidung zum Verzicht zusätzlich erschwert.
Trotz fehlenden neuen Materials waren das aber nicht die einzigen Angriffe auf das Portemonnaie des Heep-Maniacs. Verschiedene Re-Release-Serien der alten Alben, eine Unzahl von Compilation, alles zum Teil mit unveröffentlichten Stücken oder Alternativ-Versionen kamen auf den Markt. Und daneben gab es dann noch Solo-Aktivitäten von Ken Hensley und John Lawton, die sich auch mit der Wiederaufarbeitung von Heep-Klassikern interessant zu machen versuchten.

Phil Lanzon: Der neuen Tastenmann darf von Anfang an mitkomponieren

Das erste Lebenszeichen der neuen Heep war denn auch – ein Live-Album. Live in Moscow dokumentiert die Osteuropa-Tour und beinhaltet immerhin drei neue Nummern, die überraschender Weise im Wesentlichen aus den Federn der beiden Neuen(!) stammen. Das keyboardlastige, modern poppende “Mr. Majestic“, das in Chapter & Verse aufgenommen wurde, ist eine Solo-Komposition von Phil Lanzon.
Das ist einer der Gründe, die Live in Moscow zu einer zwiespältige Sache für die Fans machten. Zwar erstrahlten Band-Klassiker wie “Bird of Prey“, „Stealin’“ oder (der CD-Bonus-Track) “Gypsy“ neu im alten Glanz, aber wohin würde der Kurs führen? Würden die Neuen Heep wieder auf die Pop-Schiene bringen – “Free me“ back to Lawton sozusagen? Erschwerend kommt hinzu, dass die recht hohe Stimme von Bernie Shaw einen deutlich größeren Umgewöhnungsprozess erforderte, als das dunklere Timbre von John Lawton, der recht eng an die Legende David Byron hatte anknüpfen können.

Raging Silence: Titel und Cover sind ein wenig bei den ehemaligen Labelmates Mannfred Mann’s Earth Band und ihrem Album Roaring Silence abgeschaut

Als Uriah Heep im folgenden Jahr Raging Silence veröffentlichten war die Spannung riesengroß. Ob es das Album war, das die Fans erwartet haben, ist fraglich. Aber es war ein Paukenschlag, der zu den größten Hoffnungen Anlass gab. Das beste Album, das Uriah Heep seit dem 12 Jahre zurückliegenden Firefly veröffentlicht hatten, baute die in der Goalby-Ära erworbenen harten Klänge kongenial in das frühere melodisch-romantische Heep-Konzept ein. Die mehrstimmigen Chöre, die immer schon ein besonderes Trademark der Band waren, erheben die Songs wieder in himmlische Sphären.
Auf Chapter & Verse durch das hymnische “Blood red Roses“ nachzuhören. Daneben gibt es krachende Metalhämmer wie das grandiose “Bad bad Man“.
Bis auf Drummer Kerslake waren alle Bandmitglieder in das Songwriting eingebunden. Drei Coverversionen passen sich nahtlos ein - darunter die gefühlvolle Ballade “When the War is over“, die das Antikriegsthema, das Heep schon immer beschäftigt hat (“Lady in Black“, Pilgrim“), erneut aufnimmt.

Aber das Aufatmen kam zu früh. Was folgt ist die völlig bedeutungslose Different World, ein uninspirierter Tiefpunkt der Bandgeschichte. Kein Wunder, dass sich die Veröffentlichung um Uriah Heep immer mehr auf Best ofs, Boxsets und Livealben verlagert. Wer Uriah Heep zu diesem Zeitpunkt endgültig abgeschrieben hatte, konnte fast vier Jahre frohlocken. Auch die Plattenfirma Legacy, bei der Heep die letzten drei CDs veröffentlicht hatten, hielt der Band nicht länger die Stange. Der nächster Stall, in dem die Band unter Vertrag kam, lag in dem Land, das ihr die wohl größte treue gehalten hat. Steamhammer aus der Leine-Metropole Hannover stellte 1995, die von Kalle Trapp (u.a. Blind Guardian) produzierte Sea of Light in die Regale der Plattenläden.

Optisch und akustisch gelten alte Tugenden neu.

Schon der Blick auf’s Cover lies den Betrachter ungläubig zusammenzucken. Sollte etwa? Ja es sollte. Wie bei den legendären Alben Demons and Wizards und The Magician’s Birthday hatte Roger Dean zum Pinsle gegriffen. Und auch musikalisch hatten die Mannen um Mick Box Heep das Steuer nicht nur noch einmal herumgerissen, sondern sogar Raging Silence noch einmal deutlich getoppt. Fast ist man versucht, das Album, das das 25-jährige Bandjubiläum markiert, in eine Reihe mit Meisterwerken wie Demons and Wizards und Firefly zu stellen. Heep gelingt es hier wirklich die eigene Tradition des romantisch-mystischen Hard Rocks, der sie in den frühen 70ern groß gemacht hat, vollständig aufzugreifen und sowohl mit der aktuellen Besetzung, als auch zeitgemäßer Gitarrenarbeit zu versöhnen.
“Against the Odds“ und “Time of Revelation“ strecken den Verächtern der Band nicht nur mit ihren Titeln den Stinkefinger entgegen, sie sind auch Paradebeispiele für die wieder gewonnene Fähigkeit, hochwertige progressive Rockmusik zu schreiben. Das Cover rundet das stimmige Gesamtbild passend ab. Die recht kitschige Ballade “Dream on“, einer der schwächsten, aber wohl der vermeintlich Radio-tauglichste, Song des Album, wurde zur Single-Auskopplung erwählt. Ob man sich damit einen Gefallen getan hat? Die Band hätte es verdient, mit diesem Album mehr öffentliche Resonanz zu erhalten.
Dennoch hält der Vertrag mit Steamhammer nur noch ein Live-Album lang. Die für Spellbinder in Köln aufgezeichnete Show enthält nur zwei Stücke, die jünger als 20 Jahre sind. Als Bonus gibt es mit der Bolders-Komposition “Sail the Rivers ein neues Studio-Stück, das noch aus den Sea of Light-Sessions stammt.

1998 erscheint bei Eagle Records das bislang letzte Studio-Album von Uriah Heep. Dazu ist wenig zu sagen. Stilistisch setzt man die auf Sea of Light eingeschlagene Linie fort, dass das Verhältnis der auf Chapter & Verse gelisteten Tracks zwischen Sonic Origami und Sea of Light 1:4 beträgt ist aber völlig gerechtfertigt. Dem zweiten Album fehlen einfach die echten Highlights á la “Time of Revelation“.


Die aktuelle Heep-Besetzung – seit 20 Jahren eine Macht

Seitdem sind acht Jahre vergangen. Heep veröffentlichen ihre Live-Alben und compilations jetzt mehr oder weniger selbst über die Firma Classic Rock Productions. Und endlich kündigt Mick Box im Beiheft zu Capter & Verse ein neues Uriah Heep-Album an. Die Besetzung ist wohl noch stabil, aber acht Jahre sind eine lange Zeit. Man darf daher mehr als gespannt sein, was uns auf Studio-Album Nummero 21 erwartet.

CD 6: Ein Schnelldurchlauf voller Leben

Obwohl die bisherige Geschichte von Uriah Heep damit erzählt ist, schließt sich im Rahmen der 6-CD-Compilation noch eine weiterer Silberling an. Er bietet das, was bislang ausgelassen – Live-Aufnahmen, hangelt sich dabei aber nicht an den bislang veröffentlichten Live–Alben entlang, sondern greift überwiegend auf bislang unveröffentlichte Live-Mitschnitten zurück.
Dabei werden nicht nur zwei eigentlich unverzichtbare, aber auf den ersten fünf CDS von Chapter & Verse nicht enthaltene Titel nachgereicht: “Sweet Lorraine“ und “Sympathy“. Auf “Rockarama“ und “Bad Blood“ agiert die Heavy-Heep-Formation mit Pete Goalby am Gesang, von der (bislang) keine Live-CD existiert und auf der Akustikaufnahme von “Circus“ ist Jethro Tull-Mastermind Ian Anderson an der Flöte zu hören.

Zwölf Uriah Heep-Live-Alben sind im Booklet von Chapter & Verse abgebildet. Auf sie wollen wir abschließend noch einen kritischen Blick werfen.

„Reguläre“ Live-Alben gibt es von Uriah Heep genau drei, wenn man meine Definition eines „regulären“ Live-Albums akzeptiert. Also: Ein reguläres Live-Album ist ein Live-Album, das in zeitlicher Nähe zu der dokumentierten Tour steht und eine Mischung aus aktuellem Material der Band und Band-Klassikern bietet. Das sind im Fall von Uriah Heep die Alben Live (1973), Live in Moscow (1988) und Future Echoes of the Past (2000).

Dazu kommen drei Alben, die vom Material her einem „regulären“ Album entsprechen, aber viel später nachträglich veröffentlicht wurden. Das sind zum einen Live on the King Biscuit Flower Hour (2000) und Live at Shepperton ’74 (1986). Beide Alben wurden in der klassischen Besetzung “Box-Byron-Hensley-Kerslake-Thain“ eingespielt und stellen Touren zur Sweet Freedom bzw. Wonderworld dar. Besonders verdienstvoll war die Veröffentlichung von Live in Europe 1979 im Jahre 1986, da nun endlich auch die zweite klassische Besetzung „Box-Kerslake-Hensley-Lawton-Bolder“ live zu haben war.

Aufgenommen im „Heimatland ihres Erfolgs“

Darüber hinaus gibt es das Live-Album Spellbinder, das 1996 direkt nach der Aufnahme veröffentlicht wurde, aber ein praktisch reines Oldieprogramm enthält, was trotz der hohen Qualität der Aufnahme angesichts des damals aktuellen Albums Sea of Light eher enttäuschend war.
Und dann folgte ab dem Jahr 2000 eine Reihe von „akustischen“, „elektrischen“ und anderen Live-Alben ohne dass es aktuelles Material zum abarbeiten gab – eine Veröffentlichungspolitik, die arg nach Ausverkauf riecht.


Es war mir ein besonderes Vergnügen Euch anlässlich der fetten CD-Box intensiv durch das Leben einer Band zu führen, für die mein Herz seit fast 30 Jahren schlägt. Ihr werdet das im Laufe der zeit gemerkt haben.
Hoffen wir gemeinsam, dass es bald positive NEUIGKEITEN von den alten Recken zu berichten gibt.



Norbert von Fransecky



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