Regenbögen über dem K2: Don Airey & Friends mit Karakorum in Jena




Info
Künstler: Don Airey & Friends, Karakorum

Zeit: 22.03.2018

Ort: Jena, Kulturbahnhof

Internet:
http://www.cosmic-dawn.de
http://www.donairey.com

Don Airey steht in seiner Funktion als Keyboarder von Deep Purple, wo er anno 2002 die Nachfolge von Jon Lord antrat, üblicherweise vor vier- bis fünfstelligen Menschenmengen auf der Bühne. In seiner Freizeit aber gönnt er sich den Spaß, einige Kumpels zusammenzutrommeln, Soloalben aufzunehmen und kleine Clubs zu betouren. Der Rezensent konnte im März 2017 im Jenaer Kulturbahnhof nicht dabeisein, aber zwei Freunde, auf deren musikalisches Urteil er sich im Regelfall verlassen kann, waren anwesend und hochgradig begeistert. Auch Airey selbst scheint der vergleichsweise winzige Club gefallen zu haben, sonst würde er nicht fast exakt ein Jahr später abermals dort gastieren – und diesmal ist der Rezensent dabei.

Die Vorband ist ihm als Hobbybergsteiger schon allein aufgrund ihres Namens sympathisch, nennt sich die Formation doch Karakorum, auch wenn sie nicht etwa aus dem namensgebenden Gebirge stammt, sondern „nur“ aus Oberbayern, genauer aus Mühldorf am Inn, was nicht mal in der bergigsten Gegend des Freistaates liegt. Der Name soll zustandegekommen sein, nachdem Keyboarder Axel Hackner und einer der Gitarristen, nämlich Bernhard Huber, sieben Monate durch Asien gereist waren und daraufhin beschlossen, eine neue Band unter eben dem Namen Karakorum zu starten, die indes personell über weite Strecken mit der Vorgängerband Foreign Faces identisch ist. Nun schreiben die Oberbayern allerdings nicht etwa Lieder mit Titeln wie „K2“, „Rakaposhi“, „Gilgit“ oder „Balti“, sondern haben als zentrales Werk einen dreiteiligen Dreiviertelstünder namens „Beteigeuze“ erschaffen, der dann auch in Jena erklingt, wobei die exakte Aufteilung des Sets an dieser Stelle apocryph bleiben muß – der Rezensent ist eine Viertelstunde zu spät dran und verbringt außerdem noch geraume Zeit in der Schlange, die sich vor dem Kulturbahnhof gebildet hat, so dass er nur die hinteren zehn Minuten des vorletzten Songs sowie den kompletten letzten mitbekommt, welchletzterer schätzungsweise eine Viertelstunde dauert, „Fairytales“ heißt und wie die Urfassung von „Beteigeuze“ auf einer selbstbetitelten 2016er Live-Demo-CD zu hören ist, während das Sternenlied 2017 noch einmal im Studio eingespielt wurde und als eigenständiges Debütalbum erschienen ist. Um einen Eindruck von der Musik des Quintetts zu bekommen, genügt die knappe halbe Stunde natürlich prinzipiell, wenngleich wegen der exorbitant hohen Qualität des zu Hörenden das Verpaßte ebenso natürlich als Verlust zu werten ist. Die Oberbayern pendeln zwischen klassischem Siebziger-Progrock, klassischem Siebziger-Hardrock und einigen krautrockigen und psychedelischen Elementen hin und her, sind enorm fit an ihren Instrumenten und singen auch noch alle fünf, wobei 98% des Materials allerdings instrumental bleibt. Die Gesangsarrangements verraten eine gewisse Zuneigung zu Yes, Keyboarder Axel präferiert klassische Hammond-Klänge, und dass man gleich in beiden vom Rezensenten gehörten Songs bzw. Songteilen jeweils einen Part untergebracht hat, der an das klassische Uriah-Heep-Orgelriff in „Gypsy“ erinnert, dürfte möglicherweise auch kein Zufall sein. Freilich sollen die Bayern damit nicht etwa als Kopisten abqualifiziert werden – aber sie wissen, wo ihre Wurzeln liegen, und ihnen etwa kommerzielles Kalkül unterstellen zu wollen geht allein schon aufgrund der Songlängen völlig an der Realität vorbei. Im Gegenteil: Hier sind Musikfanatiker am Werk, die aus Spaß an der Freude bei der Sache sind – Anekdote am Rande: Das Konzert findet an einem Donnerstag statt, und Bassist Jonas Kollenda ist Mathematiklehrer und muß am Freitag nach 350 Kilometern nächtlicher Heimfahrt und allenfalls einer Mütze Schlaf wieder vor seinen Schülern stehen ... Besagter Jonas sieht kurioserweise aus wie ein Bruder von Youtube-Star Steve Terreberry, und Drummer Bastian Schuhbeck geht fast als Ebenbild des jugendlichen Ian Paice (nur ohne Backenbart) durch. Die exorbitanten Fähigkeiten des Quintetts lassen sich auch dank eines glasklaren und in angenehmer Lautstärke verbleibenden Soundgewandes prima durchhören, Axel sammelt mit seinen bayrisch durchwobenen Ansagen weitere Sympathiepunkte, und das Publikum zeigt sich gleichfalls begeistert und fordert eine Zugabe ein, die indes aufgrund des Zeitplans nicht gewährt werden kann. Aber der Rezensent dürfte nicht der einzige sein, der hofft, Karakorum im Kulturbahnhof bald mit voller Spielzeit wiederzusehen.

Der Sound bleibt auch bei Don Airey glasklar, die angenehme Lautstärke leider nicht – sie geht in manowar-kompatible Regionen nach oben (wobei festgehalten werden muß, dass de Maio & Co. keineswegs immer derartig klare Klangbilder zu erzeugen in der Lage waren). Das stellt allerdings den einzigen größeren Wermutstropfen eines ansonsten, um es vorwegzunehmen, erstklassigen Gigs dar. Spannende Frage war, was Airey, der bisher auf rund 280 Alben zu hören ist, diesmal setlisttechnisch ausbuddeln würde. Der Rezensent hatte in den Tagen vor dem Konzert mal wieder drei dieser 280 Alben durchgehört, nämlich Babylon von Ten, das Debütalbum der Michael Schenker Group und Rainbows Difficult To Cure – und letzteres stellt sich als Treffer heraus: Rainbow-Material dominiert diesmal den Set recht deutlich, und zwar in Gestalt von je drei Songs der beiden von Airey eingespielten Alben Down To Earth und eben Difficult To Cure, darunter natürlich die Hits „All Night Long“, „I Surrender“ und „Since You’ve Been Gone“, während das speedige „Spotlight Kid“ nach dem Prokofjew-Intro (der berühmte Rittertanz aus „Romeo & Juliet“) den Set eröffnet und die Bahn für einen gelungenen Gig ebnet. Dazu kommt dreimal Material von Deep Purple, in diesem Fall allerdings alter Sechziger- und Siebziger-Stoff und kein jüngerer aus der Airey-Alben-Ära, obwohl gerade das 2013er Now & Then teilweise bärenstarken Stoff enthalten hatte, wobei natürlich auch gegen „Pictures Of Home“, „Hush“ und „Black Night“ nichts einzuwenden ist, ganz im Gegenteil. Wer allerdings die 2017er Setlist studiert hatte, der vermißt eine Nummer – und das ist besonders schmerzlich, weil auch Deep Purple selbst sie bereits seit der 1996er Purpendicular-Tour nicht mehr spielen: „Child In Time“, das, so berichten die Augen- und Ohrenzeugen, 2017 zu den absoluten Highlights des Sets gehört haben soll. Aber man kann nicht alles haben – und man bekommt ja dafür anderes Hochklassiges, etwa Ozzys „Mr. Crowley“ mit Aireys markantem Synthie-Intro oder auch das exzellente Instrumental „The Inquisition“ von Colosseum II, Aireys erster international bekannt gewordener Band, die auch im Kulturbahnhof einige Anhänger besitzt, wie der punktuell aufkommende Jubel beweist, der auf die Ansage Aireys, jetzt komme ein Song von besagter Formation, folgt. Whitesnake-Songs gibt es diesmal übrigens keine (der Keyboarder war auf den beiden Megasellern 1987 und Slip Of The Tongue dabei), und vom Gary-Moore-Material, das mit Airey entstanden war, wird das 2017 gespielte „Nuclear Attack“ diesmal gegen „Back On The Streets“ ausgetauscht, während „Still Got The Blues“ im Set verblieben ist, also seinen Platz nicht für das stilkompatible „Parisienne Walkways“ räumen mußte. Dazu noch zweimal Stoff vom im Mai zu erwartenden neuen Soloalbum One Of A Kind, nämlich das mit teils recht heftigem Riffing durchwobene „Victim Of Pain“ und das schleppende „All Out Of Line“, die beim letzten Mal gespielten Eigenkompositionen vom Solowerk K2 (soviel zum Thema Karakorum-Bezug des Headliners ...) ersetzend – fertig sind reichlich anderthalb Stunden prima musikalische Unterhaltung, kongenial umgesetzt vom bühnenaktiven Quintett. Was der mit großen Schritten auf die 70 zugehende Airey kann, dürfte keiner Erläuterung bedürfen, und er rechtfertigt seinen Ausnahmestatus auch an diesem Abend wieder von der ersten bis zur letzten Minute. Aber auch seine vier Mitstreiter liefern exquisite Arbeit, selbst wenn man sie stilistisch eigentlich gar nicht im klassischen Hardrock verorten würde, wie Drummer Jon Finnigan, den man von den Postpunkern Gang Of Four kennen könnte. Gitarrist Simon McBride hingegen dürfte NWoBHM-Historikern ein Begriff sein – der Nordire füllte bei der Reunion von Sweet Savage anno 1994 den Platz von keinem Geringeren als Vivian Campbell aus und beerbte unlängst gar Micky Moody bei Snakecharmer, so dass er auch den Classic-Rock-Ritterschlag längst empfangen hat. Bassist Dave Marks vertritt den auf dem Album spielenden (und auf den Flyern angekündigten) Laurence Cottle kongenial, hat beispielsweise die Carl Palmer Band in seinem Stammbuch stehen und rechtfertigt jegliche Erwartungen bereits in „Pictures Of Home“: Wenn ein Bassist auf dem Sologig eines Keyboarders schon im zweiten Song ein Solo spielen darf und das Publikum nicht erst an dessen Ende, sondern schon währenddessen Szenenapplaus spendet, haben alle alles richtig gemacht. Bleibt Sänger Carl Sentance, NWoBHM-Historikern von Persian Risk ein Begriff, Langzeit-Kollaborator Aireys und seit 2015 auch bei Nazareth am Mikrofon – der Mann geht auf die 60 zu, singt aber wie der sprichwörtliche junge Gott und erweist sich zudem als sympathische Labertasche, bei dem man allerdings genau hinhören muß, um seine Jokes und Anspielungen zu verstehen, was ähnlich auch auf Airey zutrifft, der gleichfalls einige Ansagen übernimmt, während McBride und Marks zwar auch über Mikrofone verfügen, diese allerdings ausschließlich für die (exzellenten!) Backing Vocals nutzen. Das Zusammenspiel klappt prima, die Spielfreude erreicht gleiche Höhen wie bei Karakorum (denen Airey für den Support an diesem Abend dankt, während Sentance das hervorragende Essen im Club lobt), und nur Winzigkeiten blieben verbesserungswürdig, etwa wenn Sentance in der zweiten Strophe von „Mr. Crowley“ die letzte Note zu lange aushält und damit den Einstieg ins zweite McBride-Solo zu sehr überdeckt, während McBride es schon zuvor in den Strophen ein wenig mit den Gitarrenfills übertrieben hatte. Aber solche Momente bleiben selten und werden von den gelungenen Einfällen locker in den Schatten gestellt, etwa wenn der reguläre Setcloser „Lost In Hollywood“ noch eine gleichfalls regenbogenfarbene Erweiterung um einen Teil des urlangen und saustarken Soloparts von „A Light In The Black“ erfährt oder „Difficult To Cure“ in der Liveversion noch homogener und mitreißender wirkt als die 1981er Studioversion. Das sind die Momente, wo sich die wahre Klasse der Musiker beweist, und dass auch ein Mann wie Airey erfreulich bodenständig geblieben ist, macht solcherartige Gigs zu einem Erlebnis sondersgleichen. Im März 2019 wieder? Gerne! (Songwunschliste: MSG, „Into The Arena“; Judas Priest, „A Touch Of Evil“; Ten, „The Stranger“; Gary Moore, „Parisienne Walkways“; Deep Purple, „Uncommon Man“ ...)

Setlist Don Airey & Friends:
Tanz der Ritter aus Romeo & Juliet (Intro)
Spotlight Kid
Pictures Of Home
Back On The Streets
I Surrender
Still Got The Blues
Victim Of Pain
The Inquisition
Mr. Crowley
All Out Of Line
Difficult To Cure
All Night Long
Lost in Hollywood/A Light In The Black
--
Hush
Black Night
--
Since You‘ve Been Gone


Roland Ludwig



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