Musik an sich


Reviews
Beethoven, L. v. u. a. (Michelangeli)

Arturo Beneditti Michelangeli live in Lugano (7. April 1981)


Info
Musikrichtung: Klavier

VÖ: 23.01.2004

TDK Mediaktive / Naxos (DVD Video (AD 1981) / Best. Nr. 10 5231 9 DV-MPSR)
Internet:

TDK Mediaktive



PORTRÄT EINES MEISTERS

Von irgendwem stammt das Bonmot, die einen seien halt die Stars, die anderen machten Musik. Wenn nun (gewisse) Stars der E-Musik-Branche heute ein marketingtaugliches Interviews geben, dann betonen sie dabei meist, wie wichtig ihnen ihr Leben jenseits von Bühne und Konzertpodium sei, wie gerne sie lebten und hausten wie jeder andere Normalsterbliche auch. (Intime Bekenntnisse in der Art von "Ich mag Sex!" bieten darüber hinaus mehr Informationen, als nötig gewesen wären.) Also die Kunst, die sei längst nicht alles für sie, und sie wären auch nicht nur keusche, demütige Diener/innen für selbige. Von wegen Star, von wegen Diva. Dann schon lieber Popstar.

Der Pianist Arturo Benedetti Michelangeli (1920-1995) war gewiss kein Star im heutigen Sinne (obwohl seine Interpretationen ganz star-gerecht ebenso fanatische Bewunderung wie Ablehnung provoziert haben). Auf Michelangeli passt eigentlich nur ein schönes, inzwischen leider etwas aus der Mode gekommenes Wort: Maestro. Maestro Michelangeli.
Wenn man sich diese DVD, einen Livemitschnitt aus dem Jahre 1981, aufgenommen im Auditorium von Lugano, anschaut, dann hat man die Möglichkeit, wenigstens einige Facetten vom aussterbenden Typus des großen Musikers kennen zu lernen.
Michelangeli, extrem schüchtern, introvertiert, auch "schwierig", scheint sein Publikum eigentlich gar nicht wahrzunehmen. So nüchtern, ja geradezu steif betritt er das Podium, so verhalten verbeugt er sich, so schlicht tritt er am Ende ab. Der formelle Frack unterstreicht noch die strenge Physiognomie des Künstlers und sein reduziertes Auftreten. Diese Zurücknahme pflegte Michelangeli aber nicht aus Arroganz, sondern weil er nicht wollte, dass sich seine Person gegenüber der Musik in den Vordergrund drängte.
Die Kameras, die dem Spieler ausgesprochen nahe kommen (dürfen), fangen beim Spiel wechselweise die Bewegungen seiner Finger ein (deren häufig wie beiläufig wirkende Berührung der Tasten keine Rückschlüsse auf das subtil aufgefächerte Klangbild zulässt, das dadurch hervorgezaubert wird) - oder halten direkt auf das Gesicht: Man sieht, typisch Michelangeli, den nach innen gerichteten Blick, die flatternden Lieder (die nun allerdings weniger von "Verzückung" als von absoluter Konzentration auf den Ton sprechen), das Rucken des Kopfes, das leichte Beben der vorgeschobenen Unterlippe. Das ist irgendwie eine archetypische Künstler-Manier und - Michelangeli-Freunde wie -Feinde mögen mir verzeihen - auf den ersten Blick fast schon komisch. Plötzlich erscheint vor dem inneren Auge jenes bildungsbürgerliche Klischee des Genies, das Loriot so treffend karikiert hat (man erwartet, dass im nächen Augenblick das Mikrofon tongenau ins Klavier fällt o. ä.).
Und dennoch: Hat man sich eingesehen und eingehört, dann vergeht die Assoziation ebenso schnell, wie sie aufgezogen ist. Auch via Bild-Ton-Konserve teilt sich ein wenig von jenem faszinierendem Charisma mit, mit dem Michelangeli sein Publikum in seinen Bann zu schlagen vermochte: Interpretation als strenges Ritual der Selbstbescheidung und der Kontemplation, das sich quasi-liturgisch vollzieht (das gilt, auf seine Weise, auch für das diszipliniert-gebannte Publikum).

Konzentriert und mit absoluter pianistischer Perfektion (die man Michelangeli oft als "kalt" und "maschinell" vorgeworfen hat) wird dann auch das Programm dargeboten. Michelangeli verleiht jedem Stück eine ganz eigene Atmosphäre, die im Fall der Beethoven-Sonate Nr. 12, op. 26 klassizistisch kühl ist (so dass das Verspielte der eröffnenden Variationen wie auch das Pathos des Trauermarsches seltsam versteinert erscheint, so als handle es sich um Austellungsstücke in einem Museum), bei der Nr. 11, op. 22 dagegen fast schon extrovertiert genannt werden kann (gemessen an dem ersten Stück). Die Fähigkeit zur klangfarblichen Differenzierung kann man dann bei Schuberts Sonate D 537 und besonders im Fall von Brahms 4 Balladen op. 10 bewundern. Allerdings ist der Klang der Aufnahme für das subtile Spiel des Maestro etwas zu stumpf geraten.

Ehrlich gesagt habe ich mich immer gefragt, was das Interesse an einer solchen Produktion sein könnte. Dass Opern-DVDs, sofern die Inszenierung und die Bildregie stimmen, manchem Stück Musik erst zu seiner ganzen theatralischen Wirklichkeit verhelfen, versteht sich.
Hier aber geht es vor allem um ein Künstlerporträt in action (selbst wenn Michelangeli gerade diesen Fokus auf seine Person nicht gewollt hat). Um die Konservierung des besonderen, unwiederholbaren Augenblicks jenseits des Tonstudios und der Abstraktion der Nur-Klang-Aufnahme. "Ja, so war Maestro Michelangeli auf der Bühne, unverwechselbar!" Für Michelangeli-Fans dürfte dieses Dokument daher unverzichtbar sein. Ohne dem Meister wirklich nahe zu kommen, kann man seine Kunst doch aus einer künstlich-intimen Nähe bewundern.



Georg Henkel



Besetzung

Arturo Benedetti Michelangelo (Klavier)


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