Musik an sich


Reviews
Feldman, M. (Tilbury - Thomas)

Two Pianos an other pieces, 1953-1969


Info
Musikrichtung: Neue Musik Klavier

VÖ: 01.07.2014

(Another Timbre / Another Timbre / 2 CD / DDD / 2014 / Best. Nr. at81x2)

Gesamtspielzeit: 108:21



HYPNOTISCH

Eine der schönsten, um nicht zu sagen: betörendsten Alben mit Musik von Morton Feldman ist kürzlich beim auf kontemplative Raritäten spezialisierten Label Another Timbre erschienen. Der erfahrene Feldman-Interpret John Tilbury hat zusammen mit dem Pianisten Philip Thomas und weiteren Instrumentalisten die Werke für mehrere Klaviere bzw. Klavier zu drei bis vier Händen und Kammermusik mit Klavierbeteiligung aufgenommen. Das Doppelalbum versammelt eine Reihe von Stücken, bei denen Feldman mit verschiedenen Notationsformen experimentiert. Während die Tonhöhen bzw. die Harmonik (Akkordik) genau fixiert ist, können die Dauern mehr oder weniger frei von den Interpreten gestaltet werden.
Feldman wollte die Klänge befreien; sie sollten nicht mehr irgendetwas darstellen (keinen "Ausdruck", auch keine vorkomponierte Struktur), sondern einfach sie selbst sein in ihrer Sinnlichkeit und Schönheit und geheimnisvollen Atmosphäre. Die Klänge sollen aus der Stille hervortreten, atmen, schweben und wieder in die Stille zurückkehren können. Feldmantypisch ist die extrem leise Dynamik und subtile Artikulation, weiter die abstrakte Statik zarter und zartester Klangobjekte.

Aufgrund seiner reichen Resonanzräume und differenzierten Klangerzeugung, bei der ein minimal veränderter Anschlag schon einen neuen Klang hervorbringt, ist das Klavier das Feldman-Instrument schlechthin. In Stücken wie Two Pianos, das hier in zwei Versionen zu hören ist, verändern bereits leichte Einsatzverschiebungen und Akzentuierungen der Pianisten die Oberfläche des Stücks. Das gilt noch mehr für das Piece for Four Pianos, bei dem sich eine betörender Schwebezustand zwischen Klarheit und Verschwommenheit ergibt. Von den Interpreten wird gewissermaßen eine telepatische Wachsamkeit erwartet, damit das Stück nicht auseinanderfällt, sondern einen - allerdings unberechenbaren - inneren Zusammenhalt gewinnt. Zu den Höhepunkten der Aufnahmen gehören die Ensemblestücke für mehrere Instrumente: Four Instruments, De Kooning, False Relationship and the Extended Ending, Between Categories.
Vor allem letzteres ist geradezu programmatisch für Feldmans Stil: Eine Musik, die zugleich Malerei ist - oder eine klingende Malerei. Eine Musik, die aus fast nichts besteht und zugleich vollkommen in sich ruht. Das Werk besteht aus Patterns gedämpfter und feinst abschattierter Instrumentalklänge. Die Interpreten bilden eine Doppelensemble aus Klavieren, Celli, Violinen und Röhrenglocken und präsentieren jeden einzelnen Klang, ja jeden Ton wie eine kostbares Juwel. Alles klingt absolut stimmig. Der Effekt ist hypnotisch.
Man vermutet bei dieser und anderen Kompositionen eine minuziöse Planung Feldmans. Der aber hat gewissermaßen direkt aufs weiße Notenblatt komponiert, innerlich hörend und darauf lauschend, was ihm seine Klänge sagen. Die maßstäbliche Aufnahmetechnik sorgt dafür, das keine Nuance verlorengeht. Das Doppelalbum wurde so komponiert, dass es wie ein einziges großes Feldman-Stücke-Mobile gehört werden kann. Einführende Kommentare zu Werken gibt es nur online auf der Seite des Labels, wo auch die CDs direkt bestellt werden können.



Georg Henkel



Trackliste
CD I
1. Two Pianos (1957) 10:00
2. Four Instruments (1965) 11:58
3. Vertical Thoughts 1 (1963) 7:58
4. Between Categories (1969) 11:44
5. Piece for Four Pianos (1957) 14:37
6. Piano Four Hands (1958) 7:43

CD II
1. Intermission 6 (1953) 3:05
2. De Kooning (1963) 12:51
3 - 4. Two Pieces for Three Pianos (1966) 17:56
5. Piano Three Hands (1957) 11:06
6. False Relationships and the Extended Ending (1968) 16:25
7. Two Pianos second version (1957) 9:23
Besetzung

John Tilbury, Philip Thomas, Catherine Laws & Mark Knoop: Klavier
Anton Lukoszevieze & Seth Woods: Cellos
Mira Benjamin & Linda Jankowska: Violinen
Rodrigo Constanzo & Taneli Clarke: Schlagzeug
Barrie Webb: Posaune
Naomi Atherton: Horn


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