Musik an sich


Editorial

Liebe Leser,

die Musikindustrie klagt ja nun seit über 15 Jahren, dass sie auf Grund illegaler Kopien zu Grunde geht. Na ja, eigentlich hat sie schon geklagt, als das Zeitalter der Kompaktkassetten begann, und man fast 1:1 Kopien von Vinylscheiben ziehen konnte. Dank CD-Rom, MP3 und natürlich Internet sind die Möglichkeiten der illegalen Verbreitung von Musik (und anderem Kunstgut wie Filmen etc.) immens gestiegen, und ein realer Einbruch der Verkäufe von CDs ist zu verzeichnen gewesen.

Die Industrie hat jedoch selber große Mitschuld, denn sie hat wenig innovativ auf die Zeichen der Zeit reagiert. Anstatt Konzepte für die neuen Vertriebswege zu entwickeln, hat sie sich darauf versteift, zu Klagen und zu Verklagen und alte wie neue Verkaufsgaranten durch Veröffentlichung von immer neuen Editionen desselben Materials lediglich wiederzukäuen. Darüber hat sie vergessen, dass es unwahrscheinlich viele sehr innovative und interessante Künstler gibt, welchen sie erst gar keine Chance einräumt. Und so entsteht in den breiten Medien, die weitgehend „formatiert“ wurden, das Bild einer langweiligen, sich nicht großartig weiterentwickelnden Musiklandschaft. (Ausnahmen bestätigen hier die Regel.)

Dabei leben wir in einem Zeitalter, das eine fast grenzenlose und unüberschaubare Landschaft der verschiedensten Musikstile bietet. Und die Propagandisten dieser neuen Kunst nutzen mehr und mehr das Mittel, welches die Industrie zum Tod der Musik erklärt hatte: das Internet. Bereits Ende der 90er zeigte ausgerechnet eine ehemalige „Major-Band“ mit einigen Hits in den 80ern, nämlich Marillion, wie man das Netzwerk nutzt, indem sie ihr Album Anorakphobia von den Fans durch Vorbestellungen finanzieren ließ.

Heute gibt es grandiose Plattformen wie www.bandcamp.com. Hier wird das Radiohead-Prinzip: „Zahl für das Material was es Dir wert ist.“ gelebt. Und hier findet man eine breite Vielfalt von Künstlern: Ganz neue oder auch alte Helden, die in Vergessenheit geraten sind. Und auch die Stilvielfalt ist grenzenlos. Wer hätte noch vor 20 Jahren geglaubt, dass es mal eine Plattform geben würde, auf der Punk, Country & Western, Rock, Elektropop, Experimentalmusik, Gothic, Hippies und viele andere mehr vereint sein würden!

Und auch viele Sachen, die wir so angeboten bekommen, zeigen, was für eine großartige Musiklandschaft vorhanden ist, wenn man nur die klebrige Schminke der rein kommerziellen Vertreter wegkratzt. Da wären in dieser Ausgabe z.B. das neue Album des australischen Trios The Necks, das eine Mischung aus Postrock, Elektronica, Jazz und Experimental spielt, oder aber auch der deutsche Elektroniker Felix Kubin, der auf seiner neuen Scheibe mit der englischen Big Band Mitch & Mitch etwas völlig Neuartiges erschafft.

Im Interview mit dem Ex-Uriah Heep Schlagzeuger Lee Kerslake wird gezeigt, wie lebendig manche Helden der Vergangenheit heute sind, während Reviews zu Wiederveröffentlichungen, wie dem Album Page of Life, das Jon Anderson 1991 mit dem griechischen Virtuosen Vangelis aufgenommen hat, auch der Vergangenheit wieder genügend Raum gibt. Weitere Beispiele gibt es am Ende des Review-Inhaltsverzeichnisses in der Rubrik „Blick zurück“.

Im insgesamt etwas seltsamen Jahr 2013 durfte ich so viel gute und neuartige Musik entdecken, wie schon lange nicht mehr. Dank der modernen Möglichkeiten habe ich auch viele alte Sachen wiederentdeckt. Deshalb freue ich mich auf 2014, um mit „Musik an Sich“ und Euch, unseren Lesern, wieder viele neue Dinge entdecken zu dürfen. Der Januar fing auf jeden Fall schon mal gut an.

Viel Spaß beim Lesen

Wolfgang Kabsch