Musik an sich


Reviews
Udo Lindenberg

Stärker als die Zeit – Live (DVD)


Info
Musikrichtung: Deutsch Rock

VÖ: 02.12.2016

(Warner)

Gesamtspielzeit: 273:28

Internet:

http://www.udo-lindenberg.de


Ich muss zugeben, dass ich Udo Lindenberg Ende der 80er Jahre aus den Augen verloren habe. Nach der genialen Udopia ging’s abwärts. Odyssee war noch mal ganz nett, aber danach wurde es zunehmend enttäuschender. Als alter Riesenfan habe ich mir immer wieder mal eine CD aus der Grabbelkiste gekauft. Die haben meine Enttäuschung aber nur bestätigt und vertieft. Ich habe dann natürlich gehört, dass er nach 2000 mit ein oder zwei Alben an die Spitze der Charts gerauscht ist, aber wenn man sieht, was dort immer wieder steht, ist das alles andere als eine Qualitätsgarantie. Es hat mich jedenfalls nicht dazu bewegt, mich näher mit den Scheiben zu befassen.

Als uns nun die Promo einer neuen Live-CD angeboten wurde, habe ich zugegriffen, mit einem kleinen Funken Hoffnung in einem Meer der Skepsis. Angekommen ist dann statt der CD eine BluRay, was mir eigentlich gar nicht Recht war. Aber in beiderlei Hinsicht wurde ich eines besseren belehrt. Musikalisch zeigt sich das Panikorchester auf Stärker als die Zeit in Top Form und die Bühnenpräsentation ist eine derartige Sensation, dass man hier wirklich nur die Video-Version wählen darf.

Von seiner Bühnepräsenz her hat mich Udo Lindenberg von Anfang an an Mick Jagger auf der gerade erschienenen Live-CD/DVD erinnert. Beide sind alte Herren, die vital wie Jungspunde über die Bühne toben. Nur dass Udo statt zwei knapp vier Stunden Live-Action macht.

Was mich besonders begeistert hat, ist dass wieder das echte Panikorchester am Start war, mit Steffi Stephan, Bertram Engel, Jean-Jacques Kravetz und anderen Helden der frühen Jahre. Sie bildeten das Rückgrat einer Riesenshow, die konsequent an die Tage anknüpfte als Udo zu Alben wir der Dröhnland Symphonie und Udopia mit der ganzen Panikfamilie unterwegs war. Allerdings mit einer deutlichen Akzentverschiebung. Die Gestalten, die früher die Figuren aus den Texten verkörperten, sind 2016 nur punktuell zu sehen. So hat zum Beispiel Gerhard Gösebrecht einen großen Auftritt mit einfliegendem UFO (das allerdings erst in der Doku auf der Bonus-DVD so richtig zu genießen ist). Überwiegend stürmen dagegen bei fast jedem Titel neue Tänzer und Akrobaten auf die Bühne, die eher allgemein Textinhaltre verdeutlichen, ohne konkrete Identitäten anzunehmen. Dabei legt die Inszenierung großen Wert darauf, immer wieder mehr oder weniger entkleidete Frauen (natürlich deutlich jünger als Udo) ins Bild zu rücken.

Aber es sind nicht nur Tänzer, die als Hautpersonen und Statisten, die Bühne bevölkern. Bei fast jedem Stück wird ein anderer Musiker aus der Begleitband ins Rampenlicht gestellt. Mal ist es eine (sehr kurzrockige) Saxophonisten; mal einer der Gitarristen, oder ein anderer Bläser. Und dann kommen noch etliche Gastauftritte dazu, die die Musikgeschichte der letzten 40 Jahre abdecken. Mal sind es Lindenberg Freunde aus den frühen Jahren, wie Klaus Doldinger, Otto oder Marius Müller-Westernhagen; dann gibt es Vertreter aktueller Trends, wie Clueso, Jan Delay oder Gentleman; und der eine oder andere liegt irgendwo dazwischen Axel Prahl, Till Brönner oder Peter Maffay. Mit Eric Burdon ist auch einer dabei, der bereits auf Udo Lindenbergs erstem Live-Album 1978 einen Gastauftritt hatte. Besonders erfreulich ist es, dass Stefan Raab und Helge Schneider nicht mit Wortbeiträgen, sondern am Schlagzeug bzw. Saxophon in Erscheinung treten.

Nicht alle Tour-Gäste waren in Lepizig dabei. Sie erscheinen zum Teil auf der Bonus-DVD - einige im kompletten Track; andere (unter ihnen Peter Maffay und Marius Müller-Westernhagen) nur im Rahmen der sehenswerten Tour-Dokumentation.

Das alles wird eingebunden in eine gigantische Bühnenproduktion, die mit Hilfe von Großkränen auch den Himmel über dem Leipziger Stadion nutzt, wo Gerhard Gösebrechts UFO, das Cello und auch Lindenberg selbst urplötzlich über dem Stadion erscheinen.

Es wurde bereits erwähnt, aber es dringend nötig, das noch einmal zu betonen. Lindenberg braucht diese Inszenierung nicht, um musikalische Blässe auszugleichen. Das beweisen nicht zuletzt die Live-Takes auf der Bonus-CD, die in einem kleineren Club in Timmendorf aufgenommen wurden. Die Band rockt wie Sau, und die meisten neuen Stücke können gut mit den Klassikern mithalten, von der einen oder anderen Ballade und dem vor allem vom Gesang her ziemlich schwachen „Bunte Republik Deutschland“ einmal abgesehen.

Besonders grandios geht der Live-Zug bei „Das kann man ja auch mal so sehen“ und „Candy Jane“ ab. Hier werden instrumentale Feuerwerke abgebrannt, die sich mit den besten Live-Alben der 70er Jahre messen können. Fantastisch

Also gar keine Kritikpunkte? Vielleicht eine Beobachtung. Den Mut sich mit wirklich starken Stimmen zu umgeben, den Udo in den 70ern gezeigt hat, hat er heute offenkundig nicht mehr. Man denke nur an sein grandioses Scheitern, bei dem Versuch mit Eric Burdon „We gotta go out of this Place“ im Duett zu singen - nachzuhören auf Livehaftig. Die Gefahr besteht bei Partnern wie Gentleman, Jan Delay oder Clueso eher nicht. Man kann denen ja viel vorwerfen, aber sicher keine Bahn brechenden Stimmen. Und Josephin Busch hat zwar eine schöne Stimme (und ein knackiges in enges Leder geklemmtes Hinterteil), bleibt mit beiden aber fast aseptisch lieb. Da ist kein Dreck, kein Leben, kein Blues, kein Soul drin. Wenn man dann an frühere Gäste, wie Helen Schneider, Inga Rumpf, Gianna Nanini oder eben Eric Burdon denkt, der auf der Bonus-DVD heute wie ein Schatten seiner selbst wirkt, dann sind das ganz andere Kaliber.

Das klaut Stärker als die Zeit – live aber keinen einzigen Punkt – und Ihr wisst, wie selten ich die 20 ziehe.

Am besten schmökert man beim dritten oder vierten Sehen ein wenig in Holger Jass‘ neu erschienenem Büchlein Mein Onkel Pö, das zwar nur mittelbar etwas mit Udo Lindenberg zu tun hat, aber Udo und das Pö sind durch „Andrea Doria auf ewig miteinander verbunden – und Stammgast war Udo im Pö wohl allemal.



Norbert von Fransecky



Trackliste
1 Intro: Stärker als die Zeit (3:00)
2 Odyssee (3:06)
3 Einer muss den Job ja machen (4:38)
4 Mein Ding (3:20)
5 Coole Socke (feat. Kids on Stage) (4:03)
6 Cello (feat. Clueso) (5:29)
7 Ich lieb dich überhaupt nicht mehr (5:12)
8 Coole Socke (feat. Kids on Stage) (4:31)
9 Plan B (4:05)
10 Rock'n 'Roller (3:29)
11 Wozu sind Kriege da (feat. Kids on Stage) (4:55)
12 Strassenfieber (2:38)
13 Sie brauchen keinen Führer (3:11)
14 Gegen die Strömung (feat. Josephin Busch) (4:43)
15 Das kann man ja auch mal so sehen (feat. Helge Schneider) (6:37)
16 Ich brech die Herzen der stolzesten Frauen (feat. Till Brönner & Stefanie Heinzmann) (5:39)
17 Bunte Republik Deutschland (feat. Gentleman, Daniel Wirtz & Ole Feddersen) (10:53)
18 Mein Body und ich (2:42)
19 Das Leben (feat. Nathalie Dorra) (8:10)
20 Sternenreise (2:39)
21 Gerhard Gösebrecht (feat. Axel Prahl) (2:48)
22 Honky Tonky Show (feat. Kids on Stage) (4:39)
23 Der Greis ist heiß (feat. Otto Waalkes) (5:10)
24 Horizont (feat. Josephin Busch, Nathalie Dorra & Boo Boo) (10:37)
25 Bis ans Ende der Welt (3:14)
26 Jonny Controletti (3:01)
27 Sonderzug nach Pankow 2(:57)
28 Alles klar auf der Andrea Doria (2:45)
29 Candy Jane (11:11)
30 Reeperbahn 2001 (What's it like) (feat. Ole Feddersen) (6:53)
31 Eldorado (4:25)
32 Ich schwöre (3:55)
33 Woddy Woddy Wodka (3:13)
34 Abspann: Horizont & Stärker als die Zeit (Instrumentals) (5:53)

Bonus-DVD
1 Ganz anders (Berlin 2015 feat. Jan Delay) (4:52)
2 Cello (Frankfurt 2016 feat. Daniel Wirtz) (6:20)
3 Wenn Du gehst (Timmendorf 2016) (4:45)
4 Ich brech die Herzen der stolzesten Frauen (Timmendorf 2016 feat. Johannes Oerding) (4:53)
5 We've gotta get out of this Place (Hannover 2015 feat. Eric Burdon) (5:46)
6 Eldorado (Live Video Edit) (3:02)
7 Göttin sei Dank (Timmendorf 2016) (4:09)
8 Jonny Controletti (Hamburg 2016 feat. Stefan Raab) (3:09)
9 Das kann man ja auch mal so sehen (Gelsenkirchen feat. Klaus Doldinger) (7:17)
10 Dr. Feel Good (Timmendorf 2016) (2:20)
11 Bunte Republik Deutschland (Berlin 2015 feat. Adel Tawil, Max Herre & Bülent Ceylan) (8:06)
12 Wir werden jetzt Freunde (Berlin 2015) (5:33)
13 Goodbye Sailor (Frankfurt 2015) (3:13)
14 Der einsamste Moment (Live Video Edit) (2:01)
15 Stärker als die Zeit - Backstage (Die Tour-Dokumentation) (44:33)
Besetzung

Udo Lindenberg

Das Panikorchester
Hannes Bauer (Git)
Bertram Engel (Dr)
Jean-Jacques Kravetz (Keys)
Jörg Sander (Git)
Hendrik Schaper (Keys)
Steffi Stephan (B)

Pustefix-Bläser
Jotham Bleiberg (Trompete)
Doris Decker (Sax)
Noah Fischer (Sax, Klarinette)
Ulrich Röser (Posaune)

Weitere Musiker
Boo Boo (Git)
Carl Carlton (Git)
Zoran Grujovski (Git)
Pascal Kravetz (Keys, Ac. Git)
Carola Kretschmer (Git)
Nippy Noya (Perc)
Ken Taylor (B)

Chor
Boo Boo
Stephanie Crutchfield
Nathalie Ddorra
Ole Feddersen
Pascal Kravetz

Kids on Stage Kinderchor
Angelina
Anna Luise
Amani
Bela
Emely
Emily
Friedrich
Jonathan
Kaspar
Kim
Konstantin
Laura
Lea
Leni
Liv
Luisa
Luisa
Marina
Marvin
Melissa
Melody
Mia
Michelle
Milla
Paula
Sandra
Silvia
Valerie

Tänzerinnen
Rose Grace Hartigan
Amber Louise Iwers
Rhiannah Louisa Kitching
Zena Sakata
Ellie Smale
Amy Taylor
Heather Urquhart

Artistinnen
Emily Kinch
Viktoria Lapidus

Gäste
Bryan Adams
Till Brönner
Eric Burdon
Josephin Busch
Bülent Ceylan
Clueso
Jan Delay
Klaus Doldinger
Hartmut Engler
Gentleman
Stefanie Heinzmann
Max Herre
Sebastian Krumbiegel
Peter Maffay
Marius Müller-Westernhagen
Johannes Oerding
Porky (Deichkind)
Axel Prahl
Stefan Raab
Helge Schneider
Adel Tawil
Otto Waalkes
Daniel Wirtz



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