Musik an sich


Artikel
Holger Jass berichtet von 2555 Nächten im Onkel Pö




Info
Autor: Holger Jass

Titel: Mein Onkel Pö

Verlag: Offline Verlag

Preis: € 25,55

138 Seiten

Internet:
http://www.mein-onkel-poe.de

So schnell können Seifenblasen der Illusion zerplatzen. „Bei Onkel Pö spielt ne Rentnerband seit 20 Jahren Dixieland,“ dichtete Udo Lindenberg im Titelsong seines 1973 erschienen Albums Alles klar auf der Andrea Doria. Da lag die Eröffnung von Onkel Pös Carnegie Hall, wie das Lokal offiziell hieß, nicht einmal drei Jahre zurück. Und selbst die gesamte Existenzdauer vom 1. Oktober 1970 bis zum 31.12.1985 wäre für 20 Jahre Dixieland zu kurz gewesen.

Dennoch: Das wohl zu einem nicht unerheblichen Teil fiktive Publikum des Onkel Pö aus schrägen Typen, Originalen und Halbwelt-Gestalten wurde zu der Ursuppe, der in den kommenden Jahren die Teilnehmer des Panikzirkuses entsprangen: Gerhard Gösebrecht und Rudi Ratlos, Bodo Ballermann und Riki Masorati, Elli Pyrelli und Ole Pinguin, und viele andere mehr. Und wahrscheinlich trug „Alles klar auf der Andrea Doria“ auch ein Stück weit zu dem legendären Ruf des Onkel Pö bei.

Bereits 1978 sah es einmal so aus, als wäre der Rockschuppen im Erdgeschoß eines vierstöckigen Wohnhauses am Ende angekommen. Betreiber Peter Marxen war der Job des Clubbesitzers zu stressig geworden. Als Retter in letzter Minute erwies sich Holger Jass, der 1975 nach Eppendorf gekommen war und in der Nachbarschaft des Onkel Pö mehrere Antiquitäten- und Trödelläden betrieb. Im November 1978 hörte Jass davon, dass Marxen das Pö aufgeben wollte und McDonald Interesse an dem Ladenlokal gezeigt hätte. Am 1. Januar 1979 hatte er die Schlüssel des Ladens in der Tasche und musste nun fix auf Club-Chef umschulen.

Mein Onkel Pö ist keine systematische Geschichte des Onkel Pö. Es ist eine Sammlung von Anekdoten und Erinnerungen an die 2555 Nächte, die das Onkel Pö in der Regie von Holger Jass lief. Hauptpersonen sind dabei Jass, das Onkel Pö und sein Publikum. In Gastrollen tritt ein Who is Who der Rock Acts auf, die in der ersten Hälfte der 80er, die Bühnen deutscher und internationaler Clubs bevölkerten. Joe Cocker und Trio, Herbert Grönemeyer und Lucio Dalla, Pat Metheny und Terence Trent d’Arby, Truck Stop und Elefant und und und. Und gelegentlich auch junge Spunde, die später als Leadsänger von U2 oder Ehefrau von Sylvester Stallone bekannt wurden.

Holger Jass quatscht dabei frei von der Leber weg und enthüllt wohl auch die eine oder andere Geschichte, die die Betroffenen möglicherweise nur ungern in einem Buch lesen werden. Respekt vor künstlerischen Größen kennt er nicht, denn er erzählt Geschichten von einem Ort, wo es ein Oben und Unten nur bedingt gegeben zu haben scheint. Und da wo es auftauchte, wurde es mit Bier und Pineau schnell auf eine vernachlässigbare Größe geschrumpft. (Auch ich wußte nicht, was Pineau ist, bevor ich das Buch gelesen habe.)

Es macht Spaß das Büchlein zu lesen. Man hat hinterher das Gefühl dabei gewesen zu sein. Und dann wird Holger Jass auf Seite 83 plötzlich ganz aktuell:

„Es war der 5. November 2016. Ich erinnere mich zufällig, weil einen Tag zuvor in den USA der Pudel-Imitator Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Es war das Tagesgespräch im Pö und wir legten uns nach einer Weile darauf fest, dass die Amis irgendwie blöd im Kopf sind.“

Nein! Das steht da natürlich nicht. Statt 2016 war es 1980 und statt von Donald Dumb war vom „Cowboydarsteller-Imitator Ronald Reagan“ die Rede. Wie blöd im Kopf die Amis tatsächlich sein können, hatte damals noch niemand ahnen können. Denn wenn seine Politik auch größenwahnsinnig, höllisch gefährlich und von engen Scheuklappen geprägt war, verfolgter Reagan doch immerhin noch eine in sich konsistente Politik.

Am besagten 5. November passierte im Pö übrigens Folgendes. Gegen 2 Uhr morgens stieg Mitch Ryder, der als Gast zugegen war, zu John Cipollina auf die Bühne um mit ihm zu jammen und begrüßte das Publikum mit dem Bekenntnis, er sei Amerikaner, wolle das aber nach der Wahl nicht mehr sein. Woraufhin er auf offener Bühne seinen US-amerikanischen Pass zerriss und die Fetzen ins Publikum warf. Auf seinem nächsten Album erschien dann ein Stück mit dem deutschen Refrain „Er ist nicht mein Präsident. Ich bin aus Amerika.“ Nur um hier ein für alle Mal deutlich zu machen, dass nicht alle Amis „irgendwie blöd im Kopf“ sind. Ich erinnere mich noch gerne an den Auftritt von Little Steven beim WDR-Rockpalast, wo er sich bei den Europäern für die amerikanische Politik entschuldigte. Ähnliche Mails habe ich in den vergangenen Wochen auch selber aus den USA bekommen.

Nett, aber teuer(!), ist die Idee von Holger Jass als Preis für Mein Onkel Pö genau einen Cent für jede Nacht zu verlangen, die er das Pö offengehalten hat.


Norbert von Fransecky



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