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Artikel

The Antikaroshi: Kritische Geisteshaltung, verpackt in interessante Musik

Info

Gesprächspartner: The Antikaroshi

Zeit: September 2010

Stil: Post-/Avant-Rock

Internet:
http://www.myspace.com/theantikaroshi

Wer oder was sind THE ANTIKAROSHI? Kurz: Ein noch ziemlich neues Trio aus dem Osten Deutschlands, welches einen aufregenden Sound irgendwo im Spannungsfeld zwischen Postpunk und Postrock fabriziert. Dabei stellt man mal kurz Konvention auf den Kopf und geht ziemlich seinen eigenen Weg. Diese Tatsache zementierte die Band erst kürzlich wieder mit ihrem zweiten Album per/son/alien. Mit fragmentartigen Texten und experimentell wirkenden Instrumentalpassagen erschuf man zehn Titel, die jeder gerne selbst für sich interpretierten kann. Alleine schon folgende (kryptische) Inhaltsangabe zur Platte macht bereits neugierig:

Retep
nap,
Bernays was a nephew of S. Freud,
Quandt is now basically BMW,
Eric's a Blackwatermambaprince,
Josef is Fritzl,
Jacek i Placek is about presidents starring in a fairy tale,
Deitenbeck is an instrumental with a phrase stolen out of Testcard magazine,
Ruhleder is a guy used to give manager seminar in Greenland nameed „Rhetoric on ice“,
Achilles ist anatomy and
Azazel was chased into the desert!

MAS kontaktierte Gitarrist und Sänger Christoph um einen kleinen Einblick in das Wesen von THE ANTIKAROSHI zu erhaschen.


The Antikaroshi, was will uns dieser Bandname sagen?

Hm, es war wie in den meisten Fällen: Wir brauchten dringend einen Namen. Dann gab es da diesen finalen Song gleichen namens, mit all seinen internen Kämpfen in unserer alten Band und irgendwie dachten wir, das wäre auch gleichzeitig ein guter Neuanfang.

Ihr seid alle keine 20 mehr und habt sicherlich eure musikalischen Erfahrungen gesammelt. In welcher Art von Bands habt ihr vor The Antikaroshi gespielt?

Wir machen alle Musik seit wir 15 sind. Vorher gab es diverse Hardcore-Bands. U.a. Unsilent Minority, Icon, Vermona Suicide. Mit Brood, in denen zwei von uns gespielt haben, ging es dann schon etwas mehr in Richtung Postpunk.

Wie entstehen die einzelnen Stücke - eher bewusst reißbrettartig oder lasst ihr Euch einfach von den Tönen treiben?

Schwer zu sagen. Dadurch dass wir alle schon eine Weile miteinander spielen, steht schon mal eine gewisse Basis, die es natürlich immer wieder zu brechen gilt und dann wird es spannend. Wir lassen uns da eher treiben.

Auf per/son/alien habt ihr Euer klangliches Spektrum neben verstärkten Synthesizern um ein Saxophon erweitert. Wer hat es eingespielt und was kann man in dieser Richtung noch von Euch erwarten?

Das Saxofon hat unser Freund Prof eingespielt und Seidemann - ebenfalls ein guter Bekannter - hat einige Beeps beigesteuert. Natürlich wäre es schön, solche Sachen dann auch mal live auszubauen. Leider ist das wohl rein logistisch nicht so ganz einfach. Aber wer weiß...

Im Zusammenhang mit Euch wird nicht selten die Punk-Undergroundszene rund um Washington D.C. und dem Dischord-Label genannt. Inwiefern hat Euch dieses Umfeld beeinflusst - musikalisch und auch gedanklich?

Von der ganzen Herangehensweise ist das unumstritten ein großer Einfluss. Allerdings weiß ich nicht, ob da musikalisch noch so die Parallelen zu finden sind. Aber vielleicht ist das ja auch egal, denn deswegen mögen wir Dischord ja auch.

Wie wichtig sind für Euch politische oder sozialkritische Inhalte überhaupt? Ist Musik in unserer oberflächlichen Gesellschaft heute überhaupt nicht ein adäquates Medium dafür?

Schwer zu sagen, ob die „Oberflächlichkeit der Gesellschaft“ mit der Wahl des Mediums in Zusammenhang steht oder stehen sollte. Wie man sieht, geht es doch anderen „Medienformaten“ oder Ausdrucksformen da auch nicht viel anders. Es werden viele gute Ausstellungen gemacht, Vorträge gehalten, Bücher geschrieben, etc. die kaum oder zu wenig Resonanz finden. Es ist schon so, dass für uns als Band eine durchaus politische Aussage immer noch wichtig ist. Nur hat sich das WIE natürlich grundlegend geändert im Vergleich zum pubertierenden Jugendlichen, der noch bei seinen Eltern wohnt.
Wo es darauf hinausläuft, und das kann man mit Musik, wie auch anderen Medien/Ausdrucksformen erreichen, ist, wenn man’s mal so altbacken formulieren will, eine kritische Geisteshaltung zu den Verhältnissen und die Bereitschaft sich mit etwas auseinander zu setzen, etwas auf sich einwirken zu lassen, das erstmal ungewohnt und nicht schon hundert mal vorgekaut ist. Wenn man das mit Musik interessant verpacken kann, umso besser. Dann kann das schon ein Anstoß sein, sich neben uns aller Alltag von Beruf und Familie für etwas Politisches zu interessieren, sich etwas anzuschauen/nachzulesen, etc. Musik dann quasi als Brücke in das Nicht-Alltägliche, andere Lebenswirklichkeiten, oder so. In dieser Beziehung aber einen sehr viel höheren Anspruch an Musik zu haben, wäre glaube ich illusorisch. Um politische oder gesellschaftliche Themen umfassend abzuhandeln, ist Musik wahrscheinlich tatsächlich nicht das richtige Medium. Denn mal ehrlich, wie viel kannst du in den typischen 3-5 min eines Songs über bspw. einen ethnischen Konflikt im Sudan, Verteilungsungerechtigkeit oder das Weltwirtschaftssystem an sich erklären, was wesentlich über das Fazit „die da oben sind doof“ hinausgeht? Andererseits kann man’s natürlich auch viel kürzer ausdrücken: Wir machen ganz gern Musik, und warum die Zeit in den Songs nicht nutzen, auch mal von was anderem als Liebe und Herzschmerz zu singen?

Textlich soll per/son/alien der Versuch sein, mit Textfragmenten und Cut-Up-Lyrik Kurzgeschichten zu erzählen - gerne auch bildend. Könnt ihr mal einen kleinen Einblick in diese textliche Welt geben?

Wie wahrscheinlich schon aus der Trackliste ersichtlich, geht es um Menschen real und irreal, die auch metaphorisch für oder gegen etwas stehen. Mal nur als Oberfläche für das große Ganze, mal als Überzeugungs(einzel)täter und mal als Märchenfigur mit späterer politischer Karriere („Jacek i Placek“). Für manche Texte reicht uns ein Zitat („Deitenbeck“), andere wiederum schlüpfen in die Ich-Erzähler-Rolle. Wir spielen mit den Mitteln, abstrahieren, alles weitere überlassen wir dem Hörer. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell zu bestimmten Fragen in der öffentlichen Diskussion das Set an Pro- und Contra-Argumenten, Bewertungen und Sichtweisen, inklusive der dazugehörigen „Sprachregelungen“, ausgehandelt ist und dann für Ewigkeiten fest zementiert scheint und ritualisiert abgespult wird. Vieles ist dann zudem so unglaublich konsensmäßig glatt aufbereitet, dass es einen als Zuhörer/-seher fast schon beleidigt. Gilt übrigens auch für Musik. (lacht) Für uns ist dann zumindest immer die Frage interessant, gibt’s noch andere Facetten? Wo die Meinungsbildung quasi noch nicht auf alle Zeiten abgeschlossen ist, da geht noch was!

Seht ihr Eure Musik selbst als Kunst?

Da überwiegt wohl immer noch der Anfangsgedanke, sprich ein Ventil zu finden um seinen Emotionen freien Lauf zu lassen, Sachen auszuprobieren egal ob man daran scheitert oder nicht. Keine Ahnung ob das Kunst ist, wir sind wohl eher Handwerker. (lacht)

Ihr wart im Frühjahr Teil der der Blisstrain-Tour (s. Konzerbericht). Welche Erfahrungen und Eindrücke habt ihr davon mit nach Hause genommen?

Es war super. Die anderen Bands waren nett und auch die Möglichkeiten mit zwei Bühnen zu interagieren waren toll. Solche Gelegenheiten kommen unserem musikalischem „Kreuzüber“ als Band natürlich sehr gelegen!

Habt ihr bestimmte Träume oder Wunschvorstellungen für die Band, wo wollt ihr in den nächsten Jahren hin?

Momentan sind wir sehr zufrieden wie alles läuft, im Vergleich zu früheren Bands und Projekten. Klar wäre es schön mehr Zeit zur Verfügung zu haben. Das wir davon nicht leben können, ist ja allen in der Band klar und auch nicht unser Ziel.

Diskografie

Mario Karl


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