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Artikel

Hüter der verlorenen Schätze - Ein Blick hinter die Kulissen des Re-Release Labels Sireena Records

Info

Gesprächspartner: Tom „The Perc“ Redecker

Interview: E-Mail

Stil: Alles mögliche

Internet:
http://www.sireena.de


Wie passen so scheinbar unvereinbare Richtungen wie Krautrock, früher Deutschpunk, frühe Neue Deutsche Welle, Blues und Bluesrock, deutsche Chansons, frivole Partymusik der Siebzigerjahre und norddeutsches Liedgut z.B. von Henry Vahl auf ein Label? Oder besser, was für Typen stecken hinter einem Label, das Märchen, gelesen von Lale Andersen, neben verschollenem Liedgut von den Raymen, Steinwolke, Zoff und Grobschnitt herausbringt? Genau dieses Programm bietet das norddeutsche Label Sireena Records seit nunmehr zehn Jahren.
Ein kleiner Rückblick: Der absolute Musikfan Lothar Gärtner gründete 1989 in Bremen das Label Strange Ways Records, auf welchem er zahlreichen Bands der damals noch jungen Indie-Szene Deutschlands eine Möglichkeit bot, ihre Werke zu veröffentlichen. Erste Erfolge stellten sich ein mit The Perc Meets The Hidden Gentleman und den Kastrierten Philosophen, die die junge Plattenfirma bundesweit bekannt machten Mit Wolfsheim landete er dann einen Volltreffer ebenso wie mit der Wiedergeburt von Joachim Witt und dessen Duett mit Wolfheim’s Sänger Peter Heppner „Die Flut“, einem der erfolgreichsten Nachkriegshits überhaupt!
Bald hierauf verspürte er den Drang, etwas Neues zu beginnen und verkaufte Strange Ways, um dann mit Tom „The Perc“ Redecker das Label Sireena Records zu gründen. Die beiden hatten schon lange und oft darüber diskutiert, dass es noch viel unveröffentlichte Musik-Perlen gab, die es wert wären auf CD wiederveröffentlicht zu werden Und so startete das junge Label Jahr 2000 mit der Werkschau von Tom’s Electric Family Pueblo Woman.

Es folgten Alben von The Perc, den deutschen Psychedelic-Rockern Shiny Gnomes (die sich auf Grund des Erfolgs der Wiederveröffentlichungen wiedervereinigten, Konzerte spielten und 2008 gar ein neues Album einspielten) und viele anderen.
Bald buddelten die beiden Bands wie Zoff, die Rainer Baumann Band und Ougenweide aus. Insbesondere der Erfolg der CDs von Zoff und Ougenweide führte zu einer Konzentration auf deutsche Rockbands der Siebziger, wie die weithin bekannten Nektar und Dissidenten, aber vor allem auch auf tatsächlich in Vergessenheit geratene Bands wie Harlis, Snowball und Octopus.

Diese Veröffentlichungen erlebte Lothar Gärtner durch seinen viel zu frühen Tod leider nicht mehr mit, und nach diesem Schlag stand auch lange nicht fest, wie es mit dem Label weitergehen sollte. Zum Glück fand Tom Redecker einen neuen Partner in Bernd Paulat, der im Frühjahr 2008 an Bord kam. Es wäre auch eine Schande gewesen, wenn uns weitere, immer sehr liebevoll aufgemachte und mit persönlichen Liner Notes versehene Scheiben des Labels verwehrt geblieben wären. Denn das ist es, was das Label auszeichnet und schlussendlich auch erfolgreich macht: man merkt den Produkten an, dass die Labelmacher mit viel Fanblut und Respekt an ihre Veröffentlichungen herangehen.

Die meist von Originalbändern, manchmal aber auch von gut erhaltenen Vinylscheiben erstellten Tonträger erhalten immer das Originalcover, oftmals viele Bonustracks (im Falle von Bullfrogs „High in Spirits“ z.B. einen Alternative Mix des kompletten Albums. Bei dem kürzlich erschienen selbst betitelten Album der Kult-Krautrocker Effendis Garden wurde gar das nie erschienene Nachfolgeralbum als Bonus rangehängt!). Was ich persönlich jedoch am wichtigsten finde ist die Tatsache, dass das Material zwar sanft vom Rauschen und Knacken gereinigt wird, aber nicht an dem ursprünglichen Sound herumgeschraubt wird. So bleiben die ursprünglichen Veröffentlichungen unverfälscht und authentisch, und man bekommt einen wirklich 100%igen Eindruck davon, wie Bands und Künstler wie Mythen in Tüten, Uli Trepte, Interzone oder Suzanne Doucet tatsächlich klangen.
Schön ist auch, dass sich das Label inzwischen immer mehr dem Vinyl zuwendet. So können wir uns auf feine Vinylscheiben von Out of Focus und Grobschnitt freuen. Und bei Grobschnitt handelt es sich dann quasi auch noch ein absolut neues Produkt, denn es gibt hier die zuletzt live dargebotene Version von Rockpommels Land an einem Stück zu hören, neu interpretiert mit neuen, zusätzlichen Parts.

So kann man sich als Musikfan nur wünschen, dass Sireena weiterhin so eine gute Nase für Verschollenes besitzt und somit dem Musikfan haufenweise erhaltenswertes Material zugänglich macht.
Ich freue mich schon auf meinen Bericht zum 20. Jubiläum.


Abschließend folgt ein Email-Interview, das Wolfgang Kabsch mit Tom „The Perc“ Redecker geführt hat:


MAS: Hallo Tom, erst einmal herzlichen Glückwunsch zum Zehnjährigen. Erzähl doch mal, wie Du damals mit Lothar Gärtner zusammen gekommen bist.


Tom Redecker: Lothar kannte ich seit 1988. Er hat 1989 das Label Strange Ways Records für uns, also The Perc Meets The Hidden Gentleman, gegründet und alle unsere Platten rausgebracht. Schon damals überlegten wir ein Re-Releaselabel zusammen zu machen, weil es einfach soviel gute Musik gab, die es noch nicht auf CD gab. 2000 war es dann soweit, und wir haben Sireena Records aus der Taufe gehoben.

MAS: Die Bandbreite von Sireena ist stilistisch kaum zusammen zu fassen. Ihr sagt, dass Ihr nur veröffentlicht, was Euch selber gefällt. Doch wie kommt Ihr auf so versunkene Schätze wie z.B. Harlis, Snowball, ShaKhan oder Octopus?

Tom Redecker: Recherchen sind das A und O. Wir graben und buddeln überall: In alten Katalogen, Zeitungen, Archiven, zunehmend auch nach Hinweisen von Fans, die uns auf Themen stoßen. So kommt unser abwechselungsreicher Katalog zustande.

MAS: Und wie kommt Ihr dann auf stilistisch völlig anderes wie die Chansonsängerin Suzanne Doucet, die Fun Punker von Kaltwetterfront oder die Früh-NDWler von Islo Mob?

Tom Redecker: Da unser eigener musikalischer Geschmack weit gefächert ist, spiegelt sich das auch in unserem Repertoire wieder. Das beinhaltet dann eben Heidi Kabel genauso wie Kaltwetterfront oder Nektar.

MAS: Wie viel Zeit vergeht und was ist alles zu erledigen von dem Zeitpunkt der Idee hin bis zur Veröffentlichung?


Tom Redecker: Der erste Schritt ist immer die Rechteklärung, wem gehören die Rechte an den Masterbändern, die Voraussetzung eines Sireena Tonträgers sind. Meist liegen die bei den ehemaligen Plattenfirmen, bei Musikverlagen oder Fernsehanstalten. Im Laufe der Zeit ist da eine recht harmonische Zusammenarbeit entstanden. Auch die Rechteinhaber sind sehr angetan von unserem Tonträgern. In manchen Fällen haben die Musiker gar selbst die Rechte. Hier haben wir die Serie The Artist’s Choice ins Leben gerufen, die besonders bei den Fans beliebt ist. Der nächste Schritt ist das Auftreiben von Fotomaterial, Originalpresse, Zeitzeugen etc. Das kann schon schwierig sein und dauern. Grob würde ich die Entstehung eines Sireena Tonträgers von Idee bis Vollendung zwischen 3 und 12 Monaten schätzen.

MAS: Wie bearbeitet Ihr das Material? Vor allem, wenn es nur Vinyl Vorlagen gibt?

Tom Redecker: Wir bekommen in der Regel Zugriff auf die Original-Masterbänder, was natürlich das Optimum bedeutet. Sollte kein Band vorliegen, versuchen wir eine möglichst ungespielte Originalschallplatte zu bekommen und nehmen diese als Grundlage. Mit unseren großartigen Technikern wie Marlon Klein oder Rolf Kirschbaum sind wir bestens versorgt, auch ein Geheimnis unseres guten Rufs gerade bei Musikfreaks.

MAS: Wie ist die Zusammenarbeit mit der Neuauflage von Grobschnitt zustande gekommen?


Tom Redecker: Sowohl Bernd als auch ich haben bereits in den Siebzigern ein enges Verhältnis zu Grobschnitt gehabt. Wir stammen ja alle aus derselben Ecke. Als ich vom Comeback der Band vor einigen Jahren erfuhr, war ich erst skeptisch. Ich konnte mir nicht so recht vorstellen, wie das in der heutigen Zeit funktionieren sollte. Dafür waren die Fußstapfen der alten Grobschnitt-Band doch zu groß. Dann haben wir die Band live gesehen, und es hat uns von den Socken gehauen. Einfach nur geil! Da kamen wir schnell wieder in Kontakt. Wir haben dann das Livealbum von 2008 auf Vinyl rausgebracht, dann noch die erste Single der Band („Another Journey“) seit über zwanzig Jahren und kommen demnächst auch mit 2010 Live wieder auf Vinyl raus. Und es macht Spaß.

MAS: Stand nach dem Tod von Lothar Gärtner sofort fest, dass es mit Sireena weitergeht?

Tom Redecker: Nein überhaupt nicht. Ich war schon geschockt. Lothar und ich waren ja nicht nur Partner, sondern auch gute Freunde gewesen. Da entstand erst mal eine Leere, und ich war gar nicht sicher, ob es überhaupt weitergehen würde. Dann kam Bernd Paulat ins Spiel.

MAS: Wie bist Du auf Deinen neuen Partner Bernd Paulat gestoßen?


Tom Redecker: Verrückt, bei einem Konzert von Zoff, quasi der Hausband von Sireena Records. Bernd hatte in den Achtzigern das Booking für Zoff gemacht, auch für Grobschnitt und andere Bands. Im Grunde kenne ich ihn viel länger als Lothar. Man hat sich nur zwischenzeitlich aus den Augen verloren. Bernd und ich haben also im Dezember 2007 in der Schützenhalle Sundern bei dem Zoff-Konzert lange zusammen gesessen, gequatscht. Er zeigte besonderes Interesse an Sireena Records und im April 2008 war er an Bord. Bernd liebt und lebt Musik, und es macht großen Spaß, mit ihm Sireena zu leiten.

MAS: Und benenne bitte einige Scheiben, die Du auf jeden Fall mal wieder veröffentlichen möchtest, egal ob es eine realistische Chance gibt oder nicht!

Tom Redecker: Kann ich gar nicht genau sagen, aber unveröffentlichte Aufnahmen von Neil Young, das wär schon ein Hammer. Wer weiß.

MAS: Zum Schluss möchte ich natürlich auch auf Deine Musikerkarriere eingehen: The Perc Meets The Hidden Gentleman liegen schon lange auf Eis, wird es hier noch mal was Neues geben?

Tom Redecker: Wir arbeiten in der Tat an neuen Songs. Da aber sowohl Emilio als ich auch schwer mit anderen Dingen beschäftigt sind, kommen wir nur unregelmäßig zusammen um weiterzumachen. Aber da wird was kommen, ich weiß nur nicht genau wann.

MAS: Und was ist mit Deiner Electric Family?

Tom Redecker: Siehe die Antwort zuvor. Auch hier gilt, es ist noch nicht klar, wann die neue Scheibe kommt. Wir sind aber schon sehr weit mit den Recordings, und es wird eine großartige Platte, das kann ich schon versprechen. Aber es kommt im August der dritte Teil meiner Archivreihe Electric Kindergarten mit Uralt-Aufnahmen von Kühe im Nebel, Crazy Son Hybrid und Gipsy Rover heraus

MAS: Vielen Dank, Tom, und auf die nächsten zehn Jahre Sireena Records. Und wenn ich mir noch Veröffentlichungen wünschen dürfte, so fallen mir auf Anhieb Foyer Des Arts, Die Tödliche Doris und X-Mal Deutschland ein.

Wolfgang Kabsch


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