Artikel
Info
Zeit: 28.01.2010
Ort: Düsseldorf
Veranstalter: Deutsche Oper am Rhein
Fotograf: Deutsche Oper am Rhein
Eine Oper von Jean-Philippe Rameau auf einer deutschen Bühne ist nach wie vor etwas Besonderes. Man kommt um die Verpflichtung spezialisierter Musiker und Sänger nicht herum, wenn man diese delikate und anspruchsvolle Musik stilgerecht aufführen möchte. Denn nur dann kann sie ihre musikalische Kraft, ihren Charme und Witz entfalten.
Zu den musikalischen Herausforderungen kommen dramaturgische. Vor allem, wenn man eine irrlichternde Farce wie die späte Ballett-Komödie Les Paladins aus dem Jahr 1760 realisieren möchte.
Rameau hat das nicht besonders stabile Handlungsgerüst, eine Art Fantasy-Buffa, verschwenderisch mit Tanzeinlagen ausgestattet, die das Geschehen unterbrechen, kommentieren oder auch weiter entfalten. Für die Ohren tut sich da ein Traumreich auf, aber die moderne Regie muss sehen, wie sie die Theatermaschine in Gang hält. Als vor einigen Jahren in Paris eine inzwischen schon legendäre Fassung der Oper unter der Regie von José Montalvo präsentiert wurde, hat der sich für die vollständige Version mit allen Balletteinlagen entschieden, diese aber mit einer musicalreifen Performance und fantastischen Videoprojektionen geradezu überzeichnet. Ein Fest für die Sinne, in deren Reizen die Geschichte der unglücklich verliebten Argie, ihrem Spezl Atis, dem grimmen Vormund Anselme und der ominösen Fee Manto aber beinahe zur Fußnote wurde.
Die jetzt in Düsseldorf aufgeführte Fassung unter der Regie von Arila Siegert liest das Libretto genauer und macht die Geschichte einsichtiger. Siegert und der Bühnenbildner Frank Philipp Schlössmann haben sich für eine stilisierte, dabei hochmobile und offene Kulisse entschieden, wobei die Atmosphäre durch die stimmigen Live-Übermalungen (per Projektion) durch Helge Leiberg definiert wird. Das ist kein visueller Gag, sondern immer integraler Bestandteil der Handlung. Kleine Eingriffe helfen der Geschichte auf die Sprünge: Manto mischt als stumme Figur schon gleich am Anfang mit, so dass ihre Bedeutung für den Fortgang der Ereignisse deutlich wird. Auch die für heutige Zuschauer schwer zu identifizierenden Doppelbödigkeiten wie das "peinliche" Duell zwischen dem edlen Ritter Atis und dem bräsigen Domestiken Orcan werden bestmöglichst herausgearbeitet, ohne in Klamauk abzugleiten. Die Figuren und Aktionen sind nicht nur Aufhänger für Rameaus hintergründig-satirisches Spiel mit musikalischen und theatralischen Konvention bzw. eine Projektionsfläche für die Fantasien des Regietheaters, sondern gewinnen auch als fühlende Wesen aus Fleisch und Blut Profil.
So kann man auch die Streichung vieler Tänze innerhalb der Akte verschmerzen. Zumal die Choreographie, die vor allem im 1. Akt ein häufig undefinierbares Mischmasch mit viel Bewegung, aber wenig Form bietet, enttäuschend ist. Rameaus Orchestersatz wirkt ja auch deshalb so modern, weil seine Texturen so pointiert, filigran und gestisch sind. Man kann jede körperliche Bewegung, jede vokale Aktion heraushören. Der Tanzstil ist dabei nicht so entscheidend wie seine präzise Durchgestaltung im Sinne der Musik - gerade diese Durchgestaltung ließ die erste Hälfte der Düsseldorfer Inszenierung indes vermissen.
Jene formale Seite ist bei den Sänger/innen weit besser aufgehoben. Mit ihren jungen und leichten Stimmen, für die der Raum manchmal fast zu groß war, hauchen sie der quecksilbrigen Musik wirklich Leben ein. Wie sexy der Ziergesang des französischen Barock sein kann, demonstriert vor allem Anders J. Dahlin in der Rolle des Paladin Atis. In diesem Sänger lebt das Ideal eines französischen hautcontre, eines hohen Tenors, wieder auf, der sehr viel virtuoser, sinnlicher und sensibler klingt als der romantische Nachfolger in der Tradition Carusos. In der Argie von Anna Virovlansky hat er eine ebenbürtige Partnerin, die vor allem die lyrischen Momente zu Ausdruckshöhepunkten formt. Iulia Elena Surdu gibt ihre Vertraute Nérine keck und gewitzt. Hier deutet sich schon die Emanzipation der possierlichen Dienergestalt zu eigenständigen Charakter an, wie man ihn dann bei Mozart findet. In diesem Zusammenhang verdient auch die unmanirierte Darbietung von Laimonas Pautienius Erwähnung; sein tumb-viriler Orcan wurde von Rameau mit einer hochpathetischen und artifiziellen Messer-Arie bedacht, die das Publikum seinerzeit völlig irritierte (und ein Grund für den Misserfolg des Werkes war). Adrian Sâmpetrean als finsterer Richter Anselme und Thomas Michael Allen als Transgender-Fee Manto (noch so ein Skandalmoment!) markieren stimmlich präsent und mit komödiantischem Talent die beiden äußeren Pole der Geschichte: Hier der lüsterne Emporkömmling, dort die(?) sinnliche Zauberin, die alles trickreich zum Happy End führt.
Bleibt noch das Spiel der Neuen Düsseldorfer Hofmusik unter dem stilsicheren Dirigat von Konrad Junghänel zu loben. Rameau fordert vor allem von den Holzbläsern und Hornisten eine extreme Virtuosität; auf alten Instrumenten gilt das noch einmal besonders - hier zeigten die Hornisten bei der Premiere großes Können.
Großer und herzlicher Applaus für einen geistreichen & unterhaltsamen Opernabend. Eine Rameau-Fortsetzung ist dringend erwünscht.
Georg Henkel
Zurück zur Artikelübersicht |