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Artikel

Aus dem Jenseits

Info

Autoren: Hg. v. Andreas Fischer und Thomas Knoefel unter Mitarbeit von Melvyn Willin

Titel: Okkulte Stimmen. Mediale Musik. Aufnahmen unsichtbarer Intelligenzen 1095-2007

Verlag: Supposé

ISBN: ISBN 978-3-932513-81-7

Preis: € 39,95

3 CDs (192:00) & 40 Seiten

Internet:
Supposé

„Kein lebender Organismus bleibt lange normal, wenn er sich immer nur im Wirklichen aufhält; sogar Lerchen und Grashüpfer, vermuten manche, haben Träume. Hill House, nicht normal, stand für sich allein in den Hügeln, denen es seinen Namen verdankte, und in ihm steckte etwas Dunkles. Das Haus stand schon seit achtzig Jahren und konnte gut noch einmal achtzig Jahre so stehen … beharrliche Stille lagerte um die Holz- und Steinmauern, und was dort auch umgehen mochte, ging allein um.“
Mit diesen trocken-verheißungsvollen Worten lässt Shirley Jackson ihren Roman „The Haunting“ (dt. Spuk in Hill House / Zürich 1993) aus dem Jahr 1959 beginnen. Die Geschichte, die folgt, entwickelt sich (para)psychologisch schlüssig und mit eherner Konsequenz: eine illustre Schar von Geisterjägern entert Hill House, es kommt zu schockierenden Manifestationen, unheimliche Geräusche bringen alle um den Schlaf, Wahn und Wirklichkeit mischen sich. Am Ende hat das Haus ein neues Opfer - und dem Leser bleibt es überlassen, das alles für die Wirkung einer bösen Macht oder einer hysterischen Überreaktion zu halten. Jackson wusste, wovon sie schrieb. Der „wissenschaftlichte“ Spiritismus, der den Plot ihres Buches antreibt, stand von der Mitte des 19. bis weit ins 20. Jahrhundert in hoher Blüte. Und Gläserrücken gehört nach wie vor zu den Initiationsriten von Jugendlichen.
Traditionell haben Medien die Äußerungen von Geistwesen übermittelt; Jenseitstimmen tönten aber auch aus ominösen Schalltrichtern, wurden durch elektrische Apparate empfangen und auf Filmen und Tonbändern fixiert. Vieles davon geht ohne Zweifel auf mehr oder weniger geschickte Manipulationen zurück, anderes harrt noch einer (meta)physischen Erklärung.

Zu den Raritäten des vergangenen Jahres gehört diese schön gestaltete und vorbildlich ediert Box mit drei CDs, auf denen Geisterstimmen und -musik, Klopfeister, Zungenrede, Trancezustände und Exorzismen einträchtig nacheinander zu Wort kommen.
Überwiegend sehr seltene Aufnahmen wurden da programmatisch stimmig zusammengebracht. Oft handelt es sich um Material privater Sammler, fixiert auf urzeitlich anmutenden Speichermedien, z. B. Wachswalzen. Ohne den Kommentar im Beiheft bliebe Vieles unverständlich: Knacken, Rauschen, Klopfen, verzerrte Stimmen vom Tonband, psychedelische Klangfetzen im Mittelwellen-Funksalat, nasale Leiergesänge von Schamanen auf Sumatra. Weiß man aber, dass hier Übersinnliches eingefangen worden sein soll, lauscht man den Einspielungen mit wachsender Faszination. Der Reiz des Unvollkommenen und die altersbedingte Patina sorgen dafür, dass die spiritistischen Konserven selbst dann einen gewissen Reiz haben, wenn der diesseitige Ursprung des Getöns nur allzu offensichtlich ist.
Es gibt einige Glanzstücke: Auf CD 2 befinden sich zahlreiche Beispiele für Zungenrede (Glossolalie) und Trancerede in fremden Sprachen (Xenoglossie), wie man sie aus christlichen Erweckungsbewegungen oder der Psychatrie kennt. Sehr spannend sind auch die ethnologischen Dokumente, z. B. auf derselben CD ein muslimisches Austreibungsritual, bei denen die Dämonen in der phantastischen Dschinn-Sprache angesungen werden. Ebenfalls muslimische Ursprungs ist ein Zikir (Gottesgedenken), der sich aus einem unbegleiteten Gesang in eine Trance-Übung aus akrobatischer Hyperventilation steigert. Auf CD 3 findet sich mediale Musik, darunter eine angeblich durch Franz Liszt an das Medium Rosemary Brown übermittelte polyrhythmische „Grübelei“, die wirklich nicht schlecht ist. Brown hat nur elementare musikalische Kenntnisse gehabt, in ihrer Rolle als „Empfängerin“ komponierte sie allerdings professionell in zahlreichen klassischen Stilen von Bach bis Debussy.
Eher trocken wirken die Klopfgeistdokumente. Wesentlich farbiger und fantasieanregender kommen dagegen die angeblich aus anderen Sphären stammenden Stimmen oder Musiken herüber, die Friedrich Jürgenson, Marcello Bacci oder P. Affolter-Zinner mit Tonband- und Radiogeräten eingefangen haben. So etwas haben wir als Kinder mit Opas altem Radio (das mit dem „grünen Auge“) auf Mittel- oder Langwelle auch immer gehört ...
CD 1 dokumentiert Trance-Reden und „Direkte Stimme“. Darunter befindet sich auch ein kurzer Ausschnitt aus einem Exorzismus von Anneliese Michel (Vorbild für die Filme „The Exorcism of Emily Rose“ und „Requiem“). Das angeblich besessene Mädchen starb an den Folgen zahlreicher Austreibungsversuche Anfang der 1970er Jahre. Hier spricht „Nero“ aus ihr. Die tiefe, krächzende Stimme klingt allerdings nicht so überzeugend teuflisch wie das abgründige Organ des „Enfield-Poltergeistes“, der sich vorher aus dem Mund zweier kleiner Mädchen zu Wort meldet.
Faszination, Ernüchterung, Gruseln und Grinsen liegen bei dieser kulturgeschichtlich hochinteressanten Kollektion nahe beieinander. Prädikat: Besonders eigenwillig. Lohnend gewiss für all jene, die ihre Ohren auf spirituelle Frequenzen eingestellt haben.

Georg Henkel


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