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Artikel

Avantgarde Festival Schiphorst

Info

Künstler: Diverse

Zeit: 01.09.2006

Ort: Schiphorst

Internet:
http://www.avantgardefestival.de

Teilnehmende Bands (Die Setlist wurde kurzfristig geändert und eine offizielle vom Veranstalter gibt es noch nicht - deshalb ist die nicht die Reihenfolge und auch nicht 100% sicher, ob nicht eine kurzfristig ausgestiegen ist oder eine andere hinzugekommen ist.

charles hayward / shape moreton (uk)
legendary pink dots (nl)
asmus tietchens (ger)
faust (ger)
la societe des timides a la parade des oiseaux (fr)
rother / moebius (ger)
marble sheep (jap)
luigi archetti / bo wiget - low tide digitals (it/ch)
instant drone factory (ger/it)
s/t (ger)
electrix garden (ger)
...bender (uk)
lucianne lassalle / geoff leigh (uk)
troum (ger)
kiew (ger)
elke postler (ger)
Emina (bosnian)
PermanentFatalError (it/fr)
franck lantignac (fr)
schwefel (ger)
ghetto raga echodrive ( ger)
horacz bluminth (ger)
mickel mass (scot)
sonic fiction (ger)
daniel larka (nl)
elasticated underband (bulg/uk)
silver static (usa/fr)
medusa (ger)




Eines mal gleich vorweg - von allen Festivals, die ich bisher habe miterleben dürfen, war dies das in der angenehmsten Location und Atmosphäre. Der dem Veranstalter, Faust Gitarist, Bassist, Schlagwerker und Sänger Jean Herve Peron, gehörende Bauernhof im sehr ländlichen, ca. 30 KM nördlich von Hamburg gelegenem Schiphorst bot bei tollem Wetter ein schönes Außengelände, die in den Hof integrierten zwei Hauptbühnen (eine oben und eine unten) waren für Sound und Luftverhältnisse optimal. Für die Betreiber eher negativ, für den Besucher eher positiv war auch, dass es nicht zu voll war, man konnte jederzeit gemütlich stehen. Auch positiv: keine Konzertüberschneidungen. War unten ein Konzert, gab es in dem mit gemütlichen Sofas ausgestatten oberen Raum Filme oder ruhige Musik aus der PA, fand oben etwas statt war unten Ruhe.


Auch die Auswahl der Künstler war kongenial, insbesondere am Freitag wechselten sich kräftige Psych / Space und Rockbands mit ruhigeren elektronischen oder andersartigen Extravaganzen ab.
Es ist schier unmöglich, hier den gesamten Ablauf wiederzugeben, einerseits weil die Vielzahl und Unterschiedlichkeit vieler wenig oder gar nicht geläufiger Namen schier unerschöpflich schien und zweitens weil die Setlist sich dynamisch veränderte und eben ob der wenig geläufigen Künstler eine Rekonstruktion kaum möglich ist.
Deshalb möchte ich hier einige der Künstler herausstellen, die mir besonders im Ohr oder Auge geblieben sind.
Am Freitag wunderte man sich über einen Bagger und einer mittelgroßen Kirchenglocke, die vor der Scheune stand. Als dieses Konstrukt dann auch noch mit dem Baggerarm voraus in die Halle gefahren wurde, stieg die Verwirrung. Als dann jedoch Marble Sheep aus Japan, verstärkt durch Faust Mitglieder auf der Bühne eine manische Mischung aus Psychedelic Rock, Krautrock und Space abfeuerten und zu diesen ausschweifenden Sounds die Glocke geschlagen wurde, war man im Bilde. Auf CD gefallen mir Marble Sheep nicht so, doch dieses einstündige Feuerwerk voller Energie ließ mich zweifelnd zurück, was denn das nun noch toppen könnte.

Die drei Jungs einer deutschen Band, deren Name mir im Moment nicht mehr einfällt, konnten es nicht, wenn auch ihr Auftritt sehr extravagant war. Die Musik bestand aus sehr kurzen Gitarren- / Schlagzeugstücken zwischen Space, Punk und Heavyrock. Ihre Bühne war eine kleine Nebenbühne im Obergeschoss, ein Konstrukt umhüllt von einer milchigen Plastikfolie. Dieser Würfel wurde noch kräftig eingenebelt und dann spielten die Protagonisten nur mit einem Mundschutz bekleidet Ihre Soundlawinen.


Späterer Höhepunkt war für mich als „Die Hard“ Fan der Soloauftritt von Legendary Pink Dot Edward Kaspel (mit LPD Tastenmann Phil „Silverman“ Knight), der irrtümlich als Bandgig angekündigt war. Edward bot Auszüge aus seinem neuen Album Red ladder to the moon neben Klassikern wie „Flesh Parade“. Ein insgesamt sehr sphärisches Set. Krönender Abschluss des Abends und Gewinner des Festivals waren für mich zweifellos die Frankfurter von S/T. Das Material, welches ich von ihnen vorher kannte, hatte zwar immer sehr psychedelische Nuancen, klang aber oft auch sehr zerfahren und leicht unfertig, da halt komplette Eigenproduktionen ohne großes Budget. Doch der Set, den Sie im Morgengrauen dieses Samstages abgeliefert haben war eine Wucht. Lange, ausufernde und schwebende Songs voller Effekte und Elektronik, mit treibenden Beats versehen und einer optimal abgestimmten Lightshow (incl. Kleiner Laserinstalation und einem Film im Hintergrund, der perfekt auf die Musik abgestimmt zu sein schien). S/T brachten es fertig, das müde in den Sofas liegende Publikum wieder in Schwung und auf die Tanzfläche zu bringen.



Am nächsten morgen hatte ich dann das Glück, mit Edward Kaspel und Soundengeneer Raymond Steg frühstücken zu dürfen, und es stellte sich auch noch heraus, das S/T im selben Gasthaus nächtigten. So durfte ich dann am Samstag den Chauffeur für die beiden netten Jungs aus Frankfurt spielen. Hierbei erfuhr ich auch noch, dass die Lightshow und der Film ohne Absprache von einem Lichttechniker zur Musik projiziert worden waren, umso erstaunlicher wie perfekt dies harmonierte. Der Samstag begann mit den Briten von bender
Mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, wenig Keyboard oder Piano kreierte die Band einen sehr intensiven Postrock. Schöne Melodien, ausbrechende kakophonische Gitarren und dem traurigen Gesang. Ein toller Opener. Nächster Höhepunkt war dann eine weitere Faust -Kollaboration. Dieser fand oben statt, und hier wurde kräftig aufgefahren. Ein großes Schlagzeug in der Mitte, darum Gitarren, Bass, Violinen und an der Seite eine Perkussionsinstalation aus Rohren, Blechen und anderen metallischen Dingen, die zum musizieren dienen können. Es wurde ein einstündiges Soundkonstrukt gespielt, das sich organisch aus dem Einstimmen und Anschließen der Instrumente entwickelt. Ruhige, schwebende Phasen wurden von eruptionsartigen Ausbrüchen von Gitarren, Streichern, Trompeten oder „Gegenständen“ begleitet. Diese Geräusche waren Metallkugeln oder Teller, die rhythmisch oder impulsive eingesetzt wurden. Richtig beeindruckend war allerdings der Ausbruch des Hünen hinter der Installation. Wie ein Irrwisch begann er auf Seine Platte und gegen die Rohre zu schlagen und völlig unerwartet schmiss er fünf Stahlrohre aus seinem „Kasten“ dem Publikum vor die Füße. Da ich in der ersten Reihe saß, bekam ich einen Riesenschreck und erfreute mich, dass er meine Nase nur knapp verfehlte.


Dies war sicher der Höhepunkt des zweiten Abends. Ansonsten schaute ich mir an diesem Tage, weil doch etwas müde, zwei Filmvertonungen an. Es handelte sich um den Dokumentarfilm Berlin von 1927, der mit einem schönen Keyboardsoundtrack + andere Instrumente unterlegt wurde. Die Künstler waren Ghetto Raga Echodrive mit Günther Schickert und Tom Zunk Die zweite war ein US Stummfilm, der von Franck Lantignac mit Keyboard und Piano unterlegt wurde. Später in der Nacht trat dann noch Mitorganisator Frank Gingeleit mit seinem beim letztjährigen Festival gegründetem, inzwischen aber umbesetzten Projekt Instant Drone Factory auf. Mit Unterstützung zweier Marble Sheep Musiker wurde ein treibendes Set aus Kraut und Psychedelic Rock geboten. Vorher trat noch Charles Hayward mit seiner neuen Band Shape Mortain auf, die einem sehr energiegeladenen Set aus Bluesrock mit Prog und anderen Elementen geboten. Als dann gegen drei Uhr die Schweizer von Low Tide Digital mit einigen sehr kakophonischen Soundwällen starteten, entschloss ich mich müde ins Bett zu gehen. Später soll das noch melodiöser und sphärischer geworden sein, doch die ersten beiden Stücke waren für mich um diese Zeit nicht mehr das richtige.

Den dritten Tag konnte ich aus privaten Gründen leider nicht mehr wahrnehmen. Er soll jedoch ähnlich ausgewogen und stark gewesen sein.

Umrahmt wurde das ganze von künstlerischen Installationen („The Blue Room“, siehe Bilder) und Kleinkunstveranstaltungen, wie die beiden Aufführungen von Elke Polster. Ich habe nur ihre Aufführung Staub gesehen, in der Sie ausdrucksstarke körperliche Performance mit Spoken Word Beiträgen bot.

Es sei noch angemerkt, das dieses Festival aus losen Musiker- und Künstlertreffen an selber Stelle entstanden ist und dieses Jahr das erste Mal richtig öffentlich war. Das Konzept ist fantastisch, die Atmosphäre ebenso und hoffentlich (sicher) spricht sich das herum. Denn für relativ kleines Geld wird hier eine Vielzahl an unterschiedlichsten Kunstformen geboten. Also - 2007 sollte sich jeder dieses Festival vormerken.

Wolfgang Kabsch


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