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Erstgebärende: Releaseparty der Debüt-CD von Skavida in Jena

Info

Künstler: Skavida, Vibration Syndicate

Zeit: 12.05.2018

Ort: Jena, Kulturbahnhof

Internet:
http://www.cosmic-dawn.de
http://www.skavida.de

Eine CD-Releaseparty stellt immer ein spezielles Ereignis im Schaffensprozeß einer Band dar, ganz besonders aber dann, wenn es sich um das Debütalbum handelt. Skavida dürfen dieses Gefühl an einem warmen Maiabend genießen, als sie ihr erstes, via Crowdfunding finanziertes Full-Length-Werk Offbeat Circus aus der Taufe heben (vier Jahre zuvor hatte es bereits eine EP namens Sunny Day gegeben), und eine erkleckliche Zahl von Besuchern füllt den Kulturbahnhof, um gemeinsam mit der Band zu feiern.

Als Support sind Vibration Syndicate am Start, deren eigene Stilbeschreibung auf Rocksteady lautet, also die etwas gebremstere Variante des Ska. Trotzdem halten die Erfurter das Tempo über lange Zeit relativ hoch, so dass sie, wenn man sie schon ins Rocksteady-Lager stecken will, dort eine Art Randgruppe darstellen, zumal der leadsingende Gitarrist oft und gerne kerniges Rock- oder Punkriffing einwirft. Sänger beschäftigt das Syndikat übrigens gleich vier, wobei der Löwenanteil auf besagten Gitarristen sowie den Bassisten entfällt, der sonnenbebrillte Posaunist allerdings, wenn er nicht gerade trötet, gelegentlich markante Gesangselemente einwirft, die bis in Tiefen reichen, welche man seinem nicht eben voluminösen Körperbau gar nicht zutrauen würde. Einige wenige Vokaleinwürfe kommen zudem noch vom Trompeter, und nach vier, fünf Songs ist der Sound dann auch so klar, dass man gerade die vielschichtigen Gesänge differenziert wahrnehmen kann, und nur der Keyboarder steht bis zum Ende des Gigs nicht nur optisch etwas im Abseits (nämlich versteckt hinter den drei Bläsern, wobei die beiden bereits erwähnten Herren eine Saxophonistin rahmen), sondern hat auch akustisch gegen das geballte Lungenvolumen vor ihm nur selten eine Chance. Das Wahrnehmen der Gesänge ist allerdings wichtig, weil Vibration Syndicate neben reinen Party- und Beziehungsnummern auch durchaus kritische Töne anschlagen, wenn sie etwa Flüchtlingsströme von heute mit solchen vergangener Jahrhunderte in Relation setzen, Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein für dessen subkulturfeindliche Stadtentwicklungspolitik dissen oder eine hochinteressante Nummer über Verkehr in Deutschland schreiben, die sich zunächst nach klassischer Punkrockmanier anarchistischen Träumen hingibt (Verkehrsschilder- und Ampelreduzierung, Polizeiabschaffung etc.), dann aber einen Realo-Schwenk vollzieht und resigniert feststellt, dass der deutsche Verkehrsteilnehmer im entstehenden Chaos überhaupt nicht mehr zurechtkäme. Besagte Nummer, im Set viertplaziert, fällt auch musikalisch etwas aus dem Rahmen: Normalerweise arrangieren Vibration Syndicate ihre Songs recht kompakt, hier aber werden sie etwas ausschweifender, setzen ein langes schwermütiges Intro davor und lassen bisweilen Anklänge an ihren Stadtgenossen Vicki Vomit durchscheinen, in dessen Repertoire dieser Song gleichfalls prima gepaßt hätte.
Neben die Eigenkompositionen treten einige Coverversionen, etwa von den Skatelites oder Mano Negra, auch ein russisches Liebeslied schleicht sich in den Set und wird zu einem umjubelten Höhepunkt – drei, vier Songs lang ist noch gewisser Platz vor der Bühne, aber der füllt sich schrittweise immer weiter, die Tanzbeine des Publikums bewegen sich schon recht heftig, und einige Unentwegte zetteln sogar einen kleinen Moshpit an. Etwa nach zwei Dritteln des Sets folgt eine kleine Durchhängerphase mit zwei, drei etwas zu „normalen“ Midtemponummern, aber die Verschnaufpause vor dem nochmal recht intensiven und flotten Setfinale ist der schwitzenden Menge im Kulturbahnhof durchaus nicht unrecht. Das Septett intoniert als Setcloser noch den ersten Thüringer Ska-Song überhaupt (geschrieben anno 1985 – skurrilerweise sind Vibration Syndicate eine Mehrgenerationenband, und es erscheint durchaus nicht unmöglich, dass der Basser als Alterspräsident der Truppe schon am Original mitgewirkt hat), der sich mit dem ewig jungen und auch in der DDR immer relevanten Thema Geld (merke: „Frage an Radio Jerewan: Wird es im Kommunismus noch Geld geben? Antwort von Radio Jerewan: Im Prinzip ja – bei manchen ja, bei anderen nein.“) auseinandersetzt, und angesichts der prächtigen Stimmung im Saal ist trotz des für eine Supportband recht langen Sets eine Zugabe unvermeidlich. Modische Kuriosität am Rande: Vor dem Rezensenten steht ein Mensch, der ein Hawaiihemd in exakt gleicher Form, Musterung und Farbe trägt, wie auch eins im Schrank des Rezensenten hängt – letzterer hat sich allerdings den Spaß gegönnt, im Iced-Earth-Shirt (Motiv Dystopia) aufzulaufen und ist auch keineswegs der einzige mit Metalshirt im Saal.

Möglicherweise haben einige dieser Menschen bis zum Setende von Skavida den Merchstand schon halb leergekauft – als sich der Rezensent dann nämlich ein Skavida-Shirt zulegen will, gibt es die Herrenshirts nur noch in S und M, wo er beim besten Willen nicht hineinpaßt. Modefragen werden auch auf der Bühne erörtert, nämlich von Sängerin Bine nach gerade mal drei Songs: Vibration Syndicate haben mich vorher ungläubig gefragt, ob ich den Gig wirklich in diesem Kleid spielen will. Tja, und nun schwitze ich hier wie verrückt ...“ Gut, solche Erfahrungen prägen sich natürlich ein, und wenn es nur derartige Dinge sind, die unter „Problem“ fallen, dann spricht einiges dafür, dass die Band ansonsten vieles richtig gemacht hat bzw. macht. Dabei handelt es sich um den ersten Gig in dieser Besetzung überhaupt – Bassist Johnny ist zum Jahreswechsel neu eingestiegen, und auch Bine selbst ist noch nicht viel länger dabei, im Gegensatz zu Johnny aber auf dem Offbeat Circus-Album bereits zu hören. Dass selbiges den Löwenanteil der Setlist einnehmen würde, sollte angesichts der strukturellen Situation niemanden verwundern, und so erklingen dann auch gleich 13 der 14 Albumsongs, lediglich der Closer „Ten Times“ bleibt außen vor. Dessen Platz nimmt einerseits Material der EP, andererseits aber auch ein neuer Song namens „High Clouds“ ein, der an diesem Abend seine Livepremiere feiert. Die allgemeine Spielsicherheit ist ziemlich hoch, einige kleine Mißverständnisse werden problemlos überspielt (in die Jamparts wird mit der Zeit von selber noch mehr Mut zum Risiko gelegt werden, wenn sich alle Beteiligten noch besser kennen), und dass es eine Großportion Spielfreude geben würde, sollte im Genre Ska ja eigentlich sowieso selbstverständlich sein. Interessanterweise bewegen sich Skavida allerdings hier und da in die Rocksteady-Richtung, etwa mit dem epischen „Like A Bird“, und auch der seinerzeitige EP-Titeltrack „Sunny Day“, der allerdings ebenso auf dem Album steht (vermutlich als Neueinspielung – Besitzer der EP können Vergleiche anstellen, der Rezensent kann es nicht) und zu dem an diesem Abend ein Video gedreht wird, beinhaltet längst nicht so viel Baggerseepartyfeeling, wie man das anhand des Titels vielleicht erwartet hätte. Dazu tritt der Fakt, dass sich Gitarrist Holger von Ausflügen in rockige Gefilde komplett fernhält, was freilich keine negativen Auswirkungen auf den Liveenergietransport hat, selbst wenn auch hier im Teil um „Johnny Can Fly“ mal kurz etwas die Luft raus ist, was freilich auch damit zu tun haben kann, dass einige Wasserbälle aufgeblasen und durchs Publikum geworfen werden, was dessen Konzentrationsfaktor auf Bühnengeschehen und Tanzbeinaktivität reduziert. Der Stimmungspegel bleibt trotzdem hoch, und als das Septett (die Bläserfraktion, in diesem Fall komplett männlich, besteht gleichfalls aus einem Trompeter, einem Posaunisten und einem Saxer mit Backingvokalzweitjob – da Bine allerdings exklusiv am Frontmikro steht und nur gelegentlich zusätzlich zum Schellenkranz greift, bleibt im Vergleich zu Vibration Syndicate eine etwaige Keyboarderstelle unbesetzt) mit „WaddleDee“ eine alte Partynummer (launig als „unser tiefsinnigster Song“ angesagt) als Setcloser intoniert, ist natürlich klar, dass das trotz ebenfalls recht langem Set nicht alles gewesen sein kann. Drei Songs lassen sich die Jenaer/Jenenser dann auch noch entlocken, unter denen das „Bella Ciao“-Cover hervorsticht, wobei die Band dieses italienische Partisanenlied in Originalsprache intoniert, also nicht die gleichfalls existenten englischen oder gar deutschen Textversionen verwendet. Der Sound bleibt auch hier schön klar und in angenehmem Lautstärkepegel, die Stimmung ist prima, und so können Skavida den Abend als markanten Meilenstein in der Bandkarriere werten.

Setlist Skavida:
Intro d-B-A-d
Tears
Come On And Dance
Let Me Sleep
Fast N Funny
High Clouds
Love Is Not For Sale
Like A Bird
Same Way
Underneath The Bunker
Johnny Can Fly
Bang Bang
Sunny Day
Emanuela
Corleone
Ayh Ayh Ayh
WaddleDee
--
Goddamn Fine
Bella Ciao
Submarine

Roland Ludwig


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