····· Osterei - Luxus-Haydn auf Vinyl ····· Zwischen Grunge und Pop suchen Woo Syrah ihren Weg ····· Der zweite Streich von Billy Idol neu und erweitert ····· Die Hamburger Ohrenfeindt sind „Südlich von Mitternacht“ auf der Überholspur ····· BAP gehen auf Zeitreise in ihre besten Jahre ·····  >>> Weitere News <<<  ····· 

Artikel

Mindpatrol aus Luxemburg liefern CD und SF-Roman auf einen Schlag

Info

Gesprächspartner: Luc Francois (Voc)

Zeit: 09.01.2018

Ort: Berlin - L-8537 Hostert (Luxemburg)

Interview: E-Mail

Stil: Progressive Death Metal

Internet:
http://www.mindpatrol.net

Im vergangenen Monat hat Norbert das dritte Album der Luxemburger Death Metaller Mindpatrol besprochen. Das Besondere daran war, dass parallel zur CD ein 260-seitiger dystopischer Science Fiction erschienen ist, der nicht nur denselben Titel wie die CD trägt, sondern ausführlich die Geschichte erzählt, die hinter den Texten der CD steht.

Norbert hat zwar nicht so viel Science Fiction im Regal stehen, wie CDs. Sie reichen aber dazu, dass seine Frau gelegentlich befürchtet, das Haus könnte unter seinem eigenen Gewicht (und dem der CDs und Bücher) im märkischen Sand versinken. Mit anderen Worten: Er ist Fan genug, um bei der Kombination SF-CD neugierig zu werden. Bevor er Sänger Luc Francois mit Fragen löchert, erzählt er den Plot des Romans.


Vulture City hat eine Vorgeschichte, die Roger, der zentrale Charakter des Romans, im Laufe des Buches durch das Studium alter Dokumente erfährt. Die Elite eines nicht näher bezeichneten Planeten hat entdeckt, dass ihr Planet in absehbarer Zukunft in einer selbst verursachten Katastrophe untergehen wird. Es bleibt Zeit genug, ein Raumschiff zu konstruieren, das es knapp 10.000 Menschen ermöglicht der Katastrophe zu entfliehen.
Den führenden Wissenschaftlern wird auf der Flucht bewusst, dass der Mensch Eigenschaften hat, die immer wieder dazu führen werden, dass er ein selbstzerstörerisches Handeln an den Tag legt. Um das Leben auf dem neuen Planeten davor zu schützen, entwickeln sie eine Überwachungstechnologie, die immer dann eingreift, wenn ein Mensch entsprechende Verhaltensweisen an den Tag legt.
Einem führenden Wissenschaftler kommen Skrupel, als ihm bewusst wird, dass die Freiheit des Menschen damit weitgehend abgeschafft wird. Er entwickelt eine Droge, die den Menschen für die Überwachungstechnologie unsichtbar macht. Mit den Menschen, denen er diese Droge injiziert hat, flieht er direkt nach der Landung auf dem neuen Planeten. Dort entstehen nun zwei Städte. Auf der einen Seite die strahlende Stadt der Überwachten, von der wir wenig erfahren.
Denn wir lernen in Luc Francois‘ Roman vor allem Vulture City kennen, die Stadt der Geflüchteten, ein grauenhafter Ort, voller Gewalt, Elend, Angst, Hoffnungslosigkeit und Leid. Der Tod der Verlierer ist allgegenwärtig. Die meisten Menschen vegetieren eher daher, als dass sie leben. Vulture City ist eine Stadt der Sucht. Denn die Droge, die seine User für die Überwachungstechnologie unsichtbar macht, führt zu völliger Abhängigkeit von der Droge, die nach kürzestem Entzug zu grauenhaften Entzugserscheinungen führt.
Am Rande von Vulture City steht ein Turm, der von den Bewohnern der Stadt fast panisch gemieden wird. Nur von ihm aus kann man die andere Stadt sehen. Nur Roger betritt ihn regelmäßig. Für ihn ist die andere Stadt das Paradies, auch wenn er weiß, dass in ihr die Freiheit verloren geht. Täglich erlebt er mit, wie seine kleine Schwester sich prostituiert, um das elternlose Geschwisterpaar am Leben zu erhalten. Als sie sich dauerhaft an einen besonders widerwärtigen Freier bindet, der aber auch besonders gut bezahlt, beschließt Roger aus Vulture City zu fliehen, was als unmöglich gilt.
Weitere Details entnehmt Ihr dem Buch, das ihr am besten jetzt sofort zusammen mit der CD bei Mindpatrol bestellt.
Details, nach denen Ihr Euch nicht zu fragen getraut hättet, erfahrt Ihr im folgenden Interview.


MAS: Hallo Luc! Das herausstechende Merkmal von `Vulture City´ ist natürlich, dass parallel zu der CD auch gleich ein Science Fiction Roman erschienen ist, der die Geschichte erzählt, die hinter den Songs der CD steht. Das wirft die Frage nach dem Huhn und dem Ei auf. Was stand am Anfang? Ist das ein Buch zur CD, oder eine CD zum Buch?
Luc Francois: Moin Norbert! Huhn und Ei sind bei uns schön parallel gewachsen. Vulture City war bei uns das zweite Mal, dass wir einen Roman zum Album an den Start gebracht haben. Deshalb haben wir uns da im Vorfeld gemütlich austauschen und das generelle Konzept ausarbeiten können. Die Arbeiten haben dann parallel stattgefunden, wobei immer mal wieder ein Lied die entsprechende Textstelle im Buch beeinflusst hat, oder eben ein Teil der Handlung nach einem Lied verlangt hat.

MAS: Wer das Buch nicht kennt, dürfte kaum eine Chance haben die Texte der CD wirklich zu verstehen, da sie letztlich Kommentare zu bestimmten Situationen im Roman sind. Erwartet Ihr von euren Hörern, dass sie sich das Buch zulegen? Oder sind die Vocals bei Mindpatrol nur ein weiteres Instrument, dessen Inhalt zweitrangig ist?
Luc Francois: So strikt sehe ich das eigentlich gar nicht. Klar, ein paar Lücken werden im Roman geschlossen, aber wie es sich mit Songtexten verhält, soll natürlich Raum zur Interpretation gegeben sein. Den Roman kann man nun als die „richtige“ Geschichte wahrnehmen, wenn man das tun möchte, aber ein Zwang ist nicht gegeben. Entsprechend haben auch die meisten Lieder eine klare thematische Linie, sodass sie ihre eigene, kleine Geschichte erzählen. „Whoreheart“ greift etwa den Unmut des Protagonisten darüber auf, dass seine Schwester als Prostituierte arbeiten muss, damit beide von der allgegenwärtigen Armut verschont bleiben, während sich „Mother“ mit Drogen und der Ohnmacht des Protagonisten angesichts der schwierigen Randbedingungen in Vulture City auseinandersetzt. Zweitrangig sind die Texte keinesfalls, nur darf der Hörer nach Belieben verknüpfen, was ich ihm da ins Ohr brülle.

MAS: Warum wird das Buch im CD-Booklet mit keinem einzigen Wort erwähnt?
Luc Francois: Huch! :-) Ein Verweis wäre natürlich clever gewesen, aber da wir eine kleine Band sind, und unsere Alben meist auf Konzerten im direkten Gespräch an den Mann bringen, besteht da auch keine echte Notwendigkeit.

MAS: Habt Ihr an eine Package Veröffentlichung (CD plus Buch) gedacht?
Luc Francois: Auf Konzerten bieten wir beides als Package an – die Leute wollen am Merch-Stand ohnehin immer feilschen. Ansonsten haben wir kein Label und keinen Vertrieb, und auf den gängigen Plattformen besteht eine solche Option nicht wirklich. Somit existiert das Package semi-offiziell.

Mindpatrol - von links nach rechts: Xavier Hofmann (Git), Miguel Teixeira Sousa (Git), Scott Kutting (Dr), Luc François (Voc), Sandy Moschetti (B), Yann Weidig (Git)


MAS: Im Buch gibt es zwei Handlungsstränge – auf der einen Seite den Überlebenskampf von Roger und Nadia in Vulture City; zum anderen die apokalyptische Vorgeschichte, die Roger in alten Dokumenten liest und die erzählt, wie ein eine kleine Gruppe Menschen ihren zum Untergang verurteilten Planeten verlässt. Diese Geschichte erklärt auch, warum Vulture City so ist, wie sie ist. Auf der CD wird diese Vorgeschichte überhaupt nicht erwähnt. Warum nicht?
Luc Francois: Das hat mehrere Gründe, wobei die Beobachtung nicht ganz richtig ist, denn die Vorgeschichte wird in „Calamity (The Cleansing)“ abgehandelt. In einem Buch kann es durchaus sinnvoll sein, derartige Sprünge einzuflechten, wobei ein Album eher von einer nachvollziehbaren Linie lebt. Zudem wurde die Vorgeschichte erst geschrieben, als zu Rogers Bemühungen alles gesagt war, und große Teile des Albums schon standen. Ein paar spontane Einfälle haben dazu geführt, dass dieser Teil umfangreicher als geplant ausgefallen ist. Zu Beginn sollte statt der Vorgeschichte auch eine andere Perspektive eingeführt werden, aber auch hier haben sich die Einfälle schnell vermehrt, sodass wir uns entschieden haben, diesen Teil lieber als eigenes Werk auszulagern.

MAS: `Vulture City´ ist nicht das erste Album von Mindpatrol. Es gab vorher schon zwei Alben. Hatten die ähnlich anspruchsvolle inhaltliche Konzepte?
Luc Francois: Über den Anspruch unseres ersten Albums kann man diskutieren. Wir sind davon nicht mehr sonderlich überzeugt. Konzeptwerke sind allerdings beide Vorgänger gewesen. Überhaupt steht seit Bandgründung fest, dass wir nur Konzeptalben schreiben wollen. Was unser zweites Album The Marble Fall betrifft, so haben wir darauf den biblischen Sündenfall als Ausgangspunkt genommen und unsere eigene Version erdichtet, die von bestehenden Religionen abstrahiert und die Dynamik zwischen einem allmächtigen Schöpfer mit Kontrollzwang und seiner lernwilligen Schöpfung in den Mittelpunkt gerückt.

MAS: In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach Deiner Rolle in der Band. Das Buch ist Dein Baby. Damit rückt der Rest der Band ein wenig in den Hintergrund. Ist das immer schon so gewesen? Sind Mindpatrol eine „echte“ Band (gewesen), oder das Ausführungsorgan von Luc Francois‘ Ideen?
Luc Francois: Wir sind ganz klar eine echte Band, in der jeder seinen kreativen Input gibt. Klar, hinsichtlich der Bücher bin ich derjenige, der den handwerklichen Teil übernimmt und dadurch auch eine ganze Menge Ideen rüber zum Album wuchtet. Allerdings ist das auch nichts Untypisches: Buch hin oder her, ist der Sänger oft für die Texte und damit auch den finalen Stempel zuständig. Da wir im ständigen Austausch miteinander stehen, und gute Ideen ungeachtet des Ideengebers umgesetzt werden, kann von einer One-Man-Show nicht die Rede sein.



MAS: Wie würdest Du Euch stilistisch einordnen? Wo liegen Eure musikalischen Wurzeln?
Luc Francois: Am liebsten gar nicht. Wir versuchen, anspruchsvolle und emotional mitreißende Musik mit Hang zum Düsteren machen, ohne je auf der Stelle zu treten. Insofern ist der stetige Wandel für uns sehr wichtig. Ähnlich machen es ja beispielsweise Pain of Salvation, die wir alle sehr gerne hören. Insgesamt sind unsere Einflüsse sehr breit gestreut, sodass eine klare Antwort auf die Frage nicht möglich ist. Wir hören halt gerne Musik in vielen Facetten und schicken uns das ganze Zeug auch immer gegenseitig zu. Wenn ich gerade meine Drachentöter-Phase habe und den anderen nur pinkfarbenen Power Metal schicke, kann das auch mal anstrengend werden.

MAS: Ich bin mir recht sicher, auf dem Album auch ein Klavier oder Piano gehört zu haben. Wo kommt das her? Im Booklet ist von Tasteninstrumenten nichts erwähnt.
Luc Francois: Plump aus der Dose. Beim Songwriting tabben wir gleich alles in Guitar Pro. Danach wird dann gerne mal mit zusätzlichen Instrumenten rumgebastelt. Heute gibt es ja für jeden Zweck eine digitale Lösung, auch wenn echte Instrumente natürlich schöner wären. Bislang ist das aber für uns nie umsetzbar gewesen. Live spielen wir unsere Songs ohnehin meist etwas anders, um das rauere Feeling auf der Bühne besser zu transportieren. Da werden die fehlenden Keyboards dann hin und wieder durch eine Gitarre ersetzt oder anders aufgefangen. Auf Kram vom Band verzichten wir live allerdings.

MAS: Ihr kommt aus Luxemburg. Mir fällt spontan keine andere Luxemburger (Metal-)Band ein. Gibt es so etwas wie eine Luxemburger Metal-Szene oder Clubs, in denen Ihr auftreten könnt?
Luc Francois: Bands gibt es bei uns viele, und auch das Niveau kann sich sehen lassen! Ich rate also dringend zu einem Blick auf Metal-Archives.com. Die kleineren Clubs sind in Luxemburg schwieriger auszumachen. Dafür haben wir mehrere große Konzerthallen, die von großen Tour-Packages auch gerne besucht werden. Dass die Slots als Vorband heutzutage recht dünn gesät sind, spielt uns dabei aber nicht unbedingt in die Hände.

MAS: Ihr bedankt Euch im Booklet der CD für die Luxemburger Kulturförderung, ohne die Euer Album nicht möglich gewesen wäre. Wie sah die Förderung aus?
Luc Francois: Dabei hat es sich ausschließlich um finanzielle Zuschüsse gehandelt. In Luxemburg wird Künstlern glücklicherweise gut unter die Arme gegriffen, sodass man als Band nicht allzu viele Kompromisse eingehen muss.


MAS: Wacken hat Euch gefördert. Wie kam es dazu?
Luc Francois: Hier muss unterschieden werden: Wacken ist nicht die Wacken Foundation. Die Wacken Foundation wurde ins Leben gerufen, um den Nachwuchs zu sichern, indem dieser finanziell unterstützt wird. Wir sind schon bei der Veröffentlichung unseres zweiten Albums an die Wacken Foundation herangetreten und haben eine Unterstützung erfahren. Danach haben wir uns immer darum bemüht, auf Festivals etwas mit den Jungs und Mädels zu plauschen – wobei, was heißt hier bemüht? Das sind super Leute, die wirklich Interesse an den geförderten Bands zeigen und sich wahnsinnig ins Zeug legen! Und mit derart leidenschaftlichen Menschen zu quatschen, ist immer wieder ein Genuss!

MAS: Können wir mit Konzerten – auch in Deutschland – rechnen?
Luc Francois: Derzeit müssen wir uns mal wieder aktiver um das Booking kümmern, aber in Deutschland haben wir mit unsere tollsten Konzertabende erlebt. Für uns steht also fest, dass Deutschland weiterhin fleißig beackert wird!

Diskografie

Downfall Theatre (2013/14)
The Marble Fall (2015)
Vulture City (2017)
MAS: Was ist in Zukunft von Euch zu erwarten? Der Roman hat ein offenes Ende, bei welchem man nicht weiß, ob es als positiv zu deuten ist. Ist damit schon Vulture City 2.0 angelegt?
Luc Francois: In der Tat ist die Geschichte noch nicht ganz abgeschlossen, allerdings haben wir uns dagegen entschieden, stumpf nach Vulture City zurückzukehren. Aber keine Sorge, das will jetzt nichts heißen: Neben Vulture City gibt es ja noch eine zweite Stadt, in welcher sich eine Geschichte erzählen lässt. Manche losen Fäden werden also indirekt noch zusammengeführt. Andere Dinge sollen auch einfach nicht gesagt werden. Aber darüber können wir gerne in zwei Jahren ausführlicher quatschen! :-)

MAS: Herzlichen Dank für die Antworten!
Luc Francois: Ebenso herzlichen Dank für die Fragen!


Fotos:
Claude Piscitelli (1)
Karsten Frölich (4)
Jean-Luc Brausch (2)

Norbert von Fransecky


Zurück zur Artikelübersicht