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Artikel

Garantierte Flucht aus dem Alltag - SCHANDMAUL im Interview

Info

Gesprächspartner: Thomas Lindner & Martin Duckstein (Schandmaul)

Zeit: 04.01.2005

Ort: Münster, Jovel

Interview: Face 2 Face

Stil: Mittelalterlicher Folk-Rock

Internet:
http://www.schandmaul.de

Anlässlich des Konzertes im Münsteraner Jovel hatten wir die erfreuliche Möglichkeit, die deutsche Mittelalter-Institution Schandmaul zu einem Gespräch zu besuchen. Uns standen gegenüber Gitarrist Martin Duckstein und Sänger Thomas Lindner, letzterer noch völlig blutverschmiert von - wie er selbst bescheidener Weise behauptet - einem Flirt mit seiner Rasierklinge. Wir glauben ihm kein Wort und behaupten einfach mal, dass er sich seine Verletzungen in einem vorangegangenen Kampf mit einer ganzen Hundertschaft von Drachen zugezogen hat.

MAS:
Heute beginnt der dritte und letzte Teil eurer "Wie Pech und Schwefel"-Tour. Welche Stücke kommen nach den Erfahrungen der ersten beiden Tourteile live am besten an?

Thomas:
Von allen Alben kristallisieren sich ein paar Klassiker raus. Angefangen beim "Teufelsweib" vom ersten Album über "Herren der Winde", "Walpurgisnacht" und "Narrenkönig" bis hin zum neuen Album, da gehen die Leute bei "Drachentöter" ab.

MAS:
Gibt es auch Stücke, die ihr ganz persönlich am liebsten spielt?

Thomas:
Diese Abgeh-Stücke, bei denen man auf der Bühne abgeht und das Publikum davor, die machen eigentlich am meisten Spaß. Wenn ich selber mal - was selten genug vorkommt - eine der alten Platten einlege, dann höre ich aber eher die ruhigen Stücke. Zum Anhören gefallen mir die Ruhigen besser, zum Spielen die Flotten.

MAS:
Ihr beschreibt euch selbst als "deutsche Folk-Rock-Band mit mittelalterlichen Instrumenten". Empfindet ihr die Bezeichnung "Mittelalterrock" als negativ?

Ducky:
Das nicht, aber wir benutzen nicht die Harmonik und Kompositionslehren, die im Mittelalter verwendet wurden. Wir haben keine Original-mittelalterlichen Stücke, die verrockt werden, sondern machen im Grunde Rockmusik und benutzen die Mittelalter-Instrumente als klangfarblichen Einfluss.

MAS:
Kann man denn andere Bands wie In Extremo oder Subway to Sally eher als Mittelalter Rock bezeichnen?

Thomas:
Bei In Extremo kann man das auf jeden Fall sagen, da die ja auch alte Themen, Texte und Melodien aufgreifen und verrocken. Subway sind eine dritte Geschichte, die machen etwas ganz anderes. Die sind härter und haben mystischere Texte als wir.

Ducky:
Ich bin mal gespannt auf das nächste Album, auf dem letzten war ja in Sachen Mittelalter gar nichts mehr dabei.

Diskografie

2004 - Wie Pech und Schwefel
2003 - Hexenkessel
2002 - Narrenkönig
2000 - Von Spitzbuben und anderen Halunken
1999 - Wahre Helden

MAS:
Bestehen Kontakte zu anderen Bands?

Thomas:
Das sind gute Partnerschaften. Man lernt sich ja jedes Jahr auf den ganzen Festivals kennen, backstage beschnuppert man sich und kommt miteinander aus. Wir haben mit keinem der Kollegen Probleme und es entstehen auch wirklich gute Freundschaften. Ein Hacken und Stechen gibt es da Gott sei Dank nicht.

MAS:
Eines eurer Markenzeichen ist eure besondere Publikumsnähe, ihr steht jenseits jeglicher Star-Allüren. Inwieweit habt ihr das Gefühl, dass der Erfolg euer Leben und eure Persönlichkeit trotzdem verändert hat?

Ducky:
Das Leben schon, klar. Allein schon deshalb, weil man so viel auf der Straße ist. Man muss unheimlich viel nebenbei arbeiten, neue Platten vorbereiten oder auch solche Sachen wie demnächst im Circus Krone, da steckt unheimlich viel Arbeit drin. Aber ob wir uns selbst verändert haben... (mit Seitenblick auf Thomas) eigentlich nicht, oder?

Thomas:
Nur dadurch, dass man so oft weg ist und zu ungewöhnlichen Zeiten arbeitet. Freunde arbeiten von Montags bis Freitag und haben am Wochenende frei, wir haben Dienstag, Mittwoch, Donnerstag frei und sind dann am Wochenende wieder unterwegs auf Tournee. Abends proben und komponieren, tagsüber pennen, das ist halt alles verdreht - der Freundeskreis dünnt sich aus. Die Gelegenheiten, sich zu sehen werden immer seltener, das muss man dann schon richtig planen. Das hat sich schon zusammengekürzt, nicht aufgrund des Erfolges, sondern aufgrund der Tatsache, dass man so oft weg ist.

MAS:
Ward ihr 1998, als sich Schandmaul zunächst nur als Hobby gegründet hat, bereits durch Mittelalterbands beeinflusst oder hattet ihr überhaupt keinen Kontakt zu dieser Szene?

Ducky:
Ein Großteil von uns hat diese Richtung gar nicht gekannt. Und das ist auch gut so, denn sonst wäre diese Mischung gar nicht entstanden. Dieser Mittelalterteil kam durch Birgit. Die war wirklich in der Mittelalterszene drin und hat ja früher auch bei Faun gespielt, war schon immer sehr begeistert von Mittelaltermärkten und so Sachen. Die anderen sind alle eher so da reingerutscht.

Thomas:
Jeder ist eigentlich seinem Stil treu geblieben, und das macht die Mischung. Wir beide kommen eher so aus dem klassischen Rock, der Stefan und der Matthias waren vorher bei Funky Jazz Bands, Anna ist Klassikerin und die Birgit eben die Mittelaltertante - und das alles zusammen ergab den Stil.

MAS:
Kritiker bezeichnen die Mittelalter-Szene oft als leichte, anspruchslose Unterhaltung für Weltfremde. Inwieweit fühlt ihr euch durch solche Vorwürfe angegriffen?

Thomas:
In den 80ern war es sehr modern, dass Rockmusiker mit erhobenem Zeigefinger dastanden und Sozialkritik übten. Das machen wir natürlich nicht. Unsere Geschichten sind Märchen, aber ich finde: Jemand, der auf unser Konzert kommt, kann zwei Stunden lang abschalten. Und dieses Abschalten gibt ihm vielleicht auch die Kraft, einem Problem, das er im richtigen Leben hat, zu begegnen. Mehr vielleicht als jemand, der ihm sagt: "Hör mal, das musst du so und so machen, dann klappt's auch mit dem Nachbar". Und zum Thema "anspruchslos": Warum soll ein Märchen anspruchslos sein? Ebenso musikalisch: Ich glaube, wir haben eine Entwicklung gemacht. Am Anfang spielt man sich ein oder hat's einfach noch nicht im Kreuz, aber ich sehe unsere Musik nicht anspruchsloser als andere... Klassik ist vielleicht anspruchsvoller.

MAS:
Beschäftigt ihr euch in eurer Freizeit auch mit Rollenspiel, Fantasyliteratur o.ä.?

Thomas:
Ich lese sehr viel, auch aus dem Bereich Fantasy. Filme aus dem Genre mag ich auch. Früher habe ich die klassischen Rollenspiele, erst DSA auf Papier, später Live Rollenspiele gemacht. Das ist jetzt aber Geschichte, keine Zeit mehr. So etwas findet in der Regel am Wochenende statt, da sind wir nicht da.

MAS:
Wie erklärt ihr euch den Mittelalter- und Fantasy-Boom der letzten Jahre?

Ducky:
Sehnsucht. Ich denke, es ist eine Flucht aus dem Alltag. Das Geld sitzt nicht mehr so locker. Du musst den ganzen Tag malochen um am Leben zu bleiben, da ist es doch mal schön, wenn es ein paar Lichtblicke gibt und Türen, die man aufstoßen kann. Da bist du aus dem Alltag draußen und kannst mal in eine andere Rolle schlüpfen und ein anderes Leben leben. Auch wenn's nur für zwei Stunden ist.

MAS:
Also glaubt ihr auch, dass diese Szene stabil ist und sich nicht so schnell wieder auflöst.


Thomas:
Wenn man sich mit der Szene richtig auskennt, dann weiß man, die ist schon ewig da. Das geht auf die 70er Jahre zurück. Damals noch sehr klein und verkapselt und jetzt kommt das eben alles so aus sich heraus. Die wird auf keinen Fall plötzlich zusammenbrechen und verschwunden sein. Die bleibt immer da, auch wenn sie vielleicht mal wieder kleiner wird.

MAS:
Zu euren Konzerten kommen ja auch nicht nur Mittelalter Freaks, man sieht auch viele Metaller, Gother oder Leute, die ganz normal aussehen.

Thomas:
Das ist das Witzige. Wir haben in den letzten zwei Jahren zunehmend bemerkt, wie gemischt das Publikum ist. Auch vom Alter her. Da stehen die Kiddies und daneben Grauhaarige, die gerade erst die Krawatte vom Hals gezerrt haben weil sie aus dem Büro kommen. Das freut uns unglaublich, denn es steht ja keine Altersbeschränkung drauf. Die sollen ja alle kommen. Und die kommen auch alle miteinander aus, da steht ja der AOK Angestellte neben dem Punk und tanzen.

MAS:
Eure privaten Musikgeschmäcker sind sehr verschieden und sehr weit gefasst. Fühlt man sich da beim Songwriting für eine Band wie Schandmaul, die nur innerhalb gewisser musikalischer und textlicher Grenzen funktioniert, manchmal eingeschränkt?

Ducky:
Wir haben uns nie irgendetwas auferlegt, wie unser Stil zu sein hat. Unser Stil ergibt sich dadurch, dass jeder der sechs Musiker in einen Topf spuckt, einmal umrührt, und das ist die Mischung. Mit so einer Mischung kann man natürlich auch mal einen Song machen, der sich völlig absetzt, z.B. "Kalte Spuren" von der letzten Scheibe. Diese Vielseitigkeit macht es ja auch interessant. Auf den Konzerten sieht man auch, dass sich die Songs live weiterentwickeln. Wenn man beispielsweise das "Tuch" nimmt, in das dann am Schluss mal ein Abba-Teil reingespielt wurde, dann deshalb, weil man da Lust drauf gehabt hat.

MAS:
Was sind eure wichtigsten Inspirationen für die Texte?

Thomas:
Erlebnisse, Bücher, Filme. Ich setze mich nicht hin und will einen Text schreiben. Da würde auch nichts passieren, da geht nichts. Man geht durch's Leben und irgendwann küsst einen die Muse und dann kommt dabei ein Text heraus. Die letzten drei oder vier Monate, die ich erlebt habe, sind dann in den Texten irgendwie mit drin - wenn man sie lesen kann. Ansonsten sind es nur Märchen.

MAS:
Die Meisten Schandmaul Lieder sind geschlossene Erzählungen. Viele eurer Stücke wirken aber auch wie Ausschnitte aus einer längeren Geschichte, etwa "Die Flucht". Da drängt sich doch die Idee nach einer Story, die mehrere Songs oder sogar ein ganzes Konzeptalbum umfasst, förmlich aus.

Thomas:
Wir haben schonmal über ein Konzeptalbum nachgedacht, aber das waren alles nur so Ideen. Wir haben noch so viele Songs, Texte und Ideen, das steht im Moment nicht ins Haus.

Ducky:
Eine Sache in der Richtung gibt's ja schon: "Drachentöter" ist die Fortsetzung zu "Der junge Siegfried", und da wird es auch noch einen dritten Teil geben als Abschluss. (an Thomas gerichtet) Stirbt er dann endlich?

Thomas:
(genervt) Ja! Muss doch so sein...

MAS:
(erschrocken) Woran denn?

Thomas:
Na an Hagen!

MAS:
Achso, das ist der Siegfried... ich habe mal das Buch Hagen von Tronje von Hohlbein gelesen, da war Hagen allerdings der Gute. Das find ich jetzt aber ein bisschen schade, dass er doch wieder der Böse ist...

Thomas:
Vielleicht lässt sich das so darstellen, dass er's doch nicht ist. Vielleicht mutiert Siegfried am Ende zum Arschloch und dann sind alle froh, dass er umgebracht wird. (allgemeines Gelächter)

MAS:
Neben eurer musikalischen Aktivität geht ihr ja auch noch euren Berufen nach. Kommt es da nicht manchmal zu Schwierigkeiten wenn zum Beispiel eine Tour ansteht?

Thomas:
Im Moment ist Ducky der letzte, der noch nebenher arbeitet, allerdings als Selbstständiger. Im Prinzip sind wir seit mittlerweile etwa einem halben Jahr im Profi-Lager angelangt.

MAS:
Ihr lebt also von der Musik?

Thomas:
"Leben" wäre vielleicht etwas zu viel gesagt... wir existieren. (lacht)

MAS:
Was sind eure nächsten großen Ziele?

Thomas:
Wie ich schon sagte, von der Musik wirklich leben zu können. Und weiterhin den Spaß an der ganzen Sache nicht zu verlieren.

Ducky:
Das nächste greifbare Projekt: Wir schließen ja jetzt im Januar unsere "Wie Pech und Schwefel"-Tour ab und machen dann im Februar einen kurzen Trip mit einem Streichquartett. Die E-Gitarre bleibt dann zu Hause, also unplugged mit Percussionist und so. Das alles gipfelt dann am 27.04. im Circus Krone in München, wo wir nicht mit Streichquartett sondern mit vierzigköpfigem Streichorchester so richtig Klassik meets Schandmaul machen. Davon wird's auch eine DVD geben.

MAS:
Könnt ihr bereits Einzelheiten über den Abend und über die Songauswahl bekannt geben?

Thomas:
Wir haben jetzt 25 Nummern vorbereitet und umarrangiert. Im Februar beginnen wir dann die Proben mit dem Orchester. Auf dem Konzert werden alle Nummern gespielt - welche es dann auf die DVD schaffen hängt davon ab, wo man sich verhaut, wo es technische Probleme gibt... was dann übrig bleibt kommt auf die DVD. Ich bin da ganz guter Dinge, dass das eine Riesensache wird.

MAS:
Gab es eigentlich böse Stimmen wegen des sehr hoch geratenen Eintrittspreises (ab 27 €)?

Ducky:
Das muss schon so hoch sein. Die Produktion ist so teuer, dass sie mit den Eintrittsgeldern noch nicht annähernd gedeckt ist.

Thomas:
Wir zahlen sowieso drauf. Das ist eine Riesengeschichte, finanziell gehen wir dabei echt in die Knie. Aber es lohnt sich hoffentlich.


Überzeugten auf ganzer Linie: Regicide

Gelohnt hat sich auch das anschließende Konzert im Jovel. Nicht nur, dass die Vorband Regicide mit ihrem sinfonischen Rock mächtig Eindruck hinterließ und das Publikum sofort auf ihrer Seite hatte, auch Schandmaul entpuppte sich als absoluter Stimmungsgarant. Also: Wer das Glück hat in der Nähe einer Stadt zu wohnen, in der Schandmaul gastiert - hingehen!

Jochen Weile & Hendrik Stahl


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