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Info
Zeit: 09.09.2017
Ort: Naundorf, Gasthof
Internet:
facebook.com/perfectpairprog
Bisweilen geht das kulturelle Leben strukturell ungewöhnliche Wege. Da gibt es im Altenburger Land einen musikalisch vielfältig aktiven Menschen namens Rainer Thieme, der u.a. mit diversen italienischen Musikern befreundet ist, was dazu führt, dass sich ab und zu eine italienische Abordnung auf den Weg über die Alpen macht, um in Deutschland nicht nur Freunde zu besuchen, sondern auch zu musizieren. Weil Gitarrist David Cremoni (dem Italoprogexperten von Moongarden ein Begriff) als Rektor der Musikhochschule in Verona vor Ort allerdings stark eingebunden ist, bleibt es in der Regel bei Kurztrips, und im September 2017 stand wieder mal ein solcher an, diesmal mit der Band Perfect Pair und drei Konzerten im Plan: einem (trotz zweier „Konkurrenzveranstaltungen“ am gleichen Abend) exzellent besuchten in Altenburg, einem in Leipzigs eigentlich renommiertem Jazzclub Telegraph, zu dem ganze zwei zahlende Zuschauer erschienen und das daher eher eine öffentliche Probe darstellte, und schließlich einem im Gasthof in Naundorf, einem gemütlichen, durch einen Verein betriebenen Lokal. Der Rezensent erlebt den letztgenannten Gig mit. Noch nie zuvor in Naundorf gewesen, erwartet er im Gasthof eine Art von Saal o.ä., aber das Konzert findet in den beiden Gaststuben statt. In der einen hat sich die Band aufgebaut, und einige Tische sind mit erwartungsfrohen Gästen besetzt, unter denen der Rezensent auch noch einen Platz findet. Die Besucher in der anderen Gaststube, woselbst sich auch die Theke befindet, können das Geschehen zumindest akustisch und partiell auch optisch durch die geöffnete Tür und eine Wandöffnung verfolgen.
Davids aktuelles, seit 2014 aktives Bandprojekt neben Moongarden heißt wie erwähnt Perfect Pair und arbeitet planmäßig als Quartett, aber der zweite Sänger Franco Zampieri ist nicht mit vor Ort, und so musiziert bei den drei Konzerten „nur“ ein Trio, dem außer dem Gitarristen noch Sänger/Effektgerätbediener Guillermo Gonzales und Drummer Sbibu angehören, alle drei ausgewiesene Meister ihres jeweiligen Fachs. Wer sich in der Proghistorie auskennt, wird bei dem Bandnamen aufgehorcht haben, und in der Tat haben Perfect Pair als King-Crimson-Coverband angefangen, und in ihrem fünfstündigen Repertoire steht noch heute mancherlei aus dem Schaffen von Robert Fripp & Co., ergänzt allerdings um zahlreiche weitere bekannte oder auch weniger bekannte Nummern aus dem Siebziger-Prog. An diesem Abend gibt es einen bunten Querschnitt zu hören, bei dem sich zunächst die spannende Frage stellt, wie bestimmte Songs in dieser Besetzung klingen werden, denn es gibt, wie aus obenstehender Aufzählung deutlich wird, weder einen Keyboarder noch einen Bassisten, und wie aus obenstehender Aufzählung noch nicht deutlich wird, spielt David an diesem Abend überwiegend auf der Akustischen oder der Halbakustischen, und Sbibu hat ein originelles Instrumentarium vor sich, das in den Beschreibungen „ground drums“ benannt wird: Er spielt im Schneidersitz auf einigen wenigen, teilweise noch mit Tüchern abgedeckten Trommeln und Becken und hat einen eigenartigen, aber durchaus wirkungsvollen Drumstil entwickelt, der sich mit der reduzierten Herangehensweise der Band prima verträgt.
Zwei Sets spielen Perfect Pair an diesem Abend, und die Setlist führt quer durch den Siebziger-Prog. Und man staunt Bauklötze: Natürlich fehlt in „Thick As A Brick“ Ian Andersons Flöte (sie wird auch nicht von Guillermo effektsimuliert), und man ertappt sich beim Hören immer wieder, wie man sie sich dazudenkt – aber das ist eigentlich gar nicht nötig, denn wenn man sich aus der Erwartungshaltung herauslöst, hier etwas zu erleben, das genauso klingt wie das Original, dann erkennt man, was für meisterliche Adaptionen Perfect Pair in vielen Fällen gelungen sind. Ein weiterer Trumpf der Band ist Guillermos Stimme. Der Mann hat lange Zeit bei einer Extrem-Metal-Band namens Mothercake (die u.a. mit Napalm Death auf Tour war) gesungen, entlockt seiner Kehle im Perfect-Pair-Kontext aber ganz andere, halbhohe bis hohe, klare und bisweilen transparent anmutende Klänge, die die Originalsänger nicht imitieren, ihnen allerdings auch keine Schande bereiten, sondern als kongeniale Interpretation anzusehen sind. Schade nur, dass Guillermo an diesem Abend sowohl mit seinem Mikrofon als auch mit seinem Effektgerät einen Tick zu weit in den Hintergrund gemischt wird und somit bisweilen etwas schwieriger wahrzunehmen ist – man würde die Band auf alle Fälle gern nochmal mit ausbalancierterem Klanggewand hören. Naturgemäß funktionieren sowieso schon reduzierte Balladen in der Perfect-Pair-Instrumentierung besonders gut und gestalten sich auch klanglich ausgewogener, und so stoßen „Starless“ (das es ja auch bei Asia in diversen Livemitschnitten als Akustikballade gab), „Wish You Were Here“ oder „Lucky Man“ auf sehr großes Interesse beim Publikum, das allerdings auch härtere Nummern zu schätzen weiß, etwa das an „Thick As A Brick“ angehängte „Aqualung“-Finale (einer der seltenen Momente, wo David mal richtig Riffkrach macht). Es erklingt natürlich auch der Bandnamensgeber, also der Titeltrack des 1984er King-Crimson-Albums Three Of A Perfect Pair, und obwohl den nun wieder kaum einer der Anwesenden im Original kennen dürfte, erntet er doch ähnlich gute Resonanzen wie der Rest des Gigs. Ein Sonderlob hat sich derjenige Mensch verdient, auf dessen besonderen Wunsch hin Dream Theaters „Another Day“ in der Setlist gelandet ist – eine verkannte Perle, auch in der Perfect-Pair-Instrumentierung stark. Genesis kommen ebenso zu ihrem Recht wie im stürmisch geforderten Zugabenblock noch Led Zeppelin („Stairway To Heaven“ mit einer plötzlichen Blastbeateinlage und später abermaligen harten Riffs) und Yes (Guillermos schelmische Frage, ob das Publikum etwas von einer Band namens Yes hören möchte, beantworten die Befragten logischerweise mit dem Wort „Yes!“), und auf ganz speziellen Wunsch gibt es zum Schluß auch noch den wohl größten King-Crimson-„Hit“, also „In The Court Of The Crimson King“. Beim anschließenden Plausch entpuppt sich der Sänger als Sammler von 80er-Metal-Vinyl, und da der Rezensent ein Formel-Eins-Shirt trägt, verfallen beide schnell ins Fachsimpeln, während ringsum der Abend nahtlos in den gemütlichen Teil übergeht.
Roland Ludwig
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