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Artikel

Mehr Schwerelosigkeit beim Tourauftakt der Münchener Freiheit in Glauchau

Info

Künstler: Münchener Freiheit

Zeit: 22.01.2017

Ort: Glauchau, Stadttheater

Fotograf: Marek Arnold

Internet:
http://www.muenchenerfreiheit.de

Jahresauftaktgigs der Münchener Freiheit stellen immer etwas Besonderes dar, denn sie bieten nicht selten die Gelegenheit zur erstmaligen Erprobung eines neuen Tourprogramms, das dann mit gewissen Variationen den Rest des Jahres über dargeboten wird. Im vorliegenden Fall war die Spannung sogar noch etwas erhöht, denn im späten 2016 hatte bekanntlich ein neues Studiowerk namens Schwerelos das Licht der Welt erblickt, und obwohl dieses, wie in der zugehörigen Rezension auf www.crossover-agm.de nachzulesen ist, nicht mit seinem Vorgänger Mehr, dem ersten Album mit dem neuen Sänger Jörg-Tim Wilhelm, mithalten kann, so ließen doch etliche Songs durchaus Livepotential erahnen, und „So wie Du“ war anno 2016 ja auch schon angetestet worden.

Der Bandkenner kann nun einfach nach unten zur Setlist linsen und stellt mehrerlei Dinge fest. Zum einen bleibt die bewährte Struktur, über längere Strecken des Sets abwechselnd Songs aus der Ära mit Stefan Zauner am Mikro sowie neue Songs zu spielen, erhalten. Zum zweiten bleibt „Schwerelos“ lange Zeit der einzige Track des neuen Albums – danach erklingen mit „Meergefühl“, „Die neue Freiheit“ und „Magnet“ erstmal die drei Beiträge, die Mehr für die Setlist stellt, und erst hiernach kommt wieder das neue Album zum Zuge, und „Wenn du mich berührst“, „Was ist Freiheit“ und wie erwartet „So bist Du“ sorgen dafür, dass das neue Album seinen Vorgänger doch noch überholt, zumindest quantitativ. Qualitativ klappt das leider nur bedingt: Gerade „Meergefühl“ mit seinen dynamischen Reißerqualitäten findet im neuen Material keinen Bruder, und auch dessen durchaus vorhandene ätherische Qualitäten, etwa in der Bridge von „Schwerelos“, finden keine Anknüpfungspunkte. Dass die hübsche Halbballade „So wie Du“ in der Livefassung mehr überzeugt als in der überproduzierten Studioversion, hatte man ja schon anhand ihrer Vorab-Antestung bemerkt, und auch an diesem recht kalten Winterabend im gut besuchten gemütlichen Glauchauer Theater fügt sich die Nummer gut ins Geschehen ein. Bezüglich der anderen neuen Nummern bleibt von „Wenn du mich berührst“ hauptsächlich das schöne Gitarrensolo und der eingängige Refrain im Gedächtnis, während „Was ist Freiheit“, das auf der Konserve noch ziemlich durchrauschte, live einen eigentümlich sphärischen Eindruck hinterläßt, freilich trotz des schönen Instrumentalintros und des nicht minder schönen Baßsolos keinen Ersatz für das 2016 aus der Setlist gestrichene „Sommernachtstraum“-Meisterwerk darstellt. Zu fast allen Nummern aus der Wilhelm-Ära laufen auf der Leinwand hinter der Bühne Videos, ansonsten bleibt der optische Faktor des Gigs unspektakulär – aber darauf kommt es bei dieser Band ja auch nicht an. Spieltechnisch ist das Quintett jedenfalls schon in starker Frühform (Arons fürchterlich verstimmte Gitarre in „SOS“ entfaltet nur geringes Sabotagepotential), auch Tim überzeugt gesanglich, und über seine Entertainerqualitäten muß man mittlerweile ja auch nicht mehr diskutieren.

Eher zu diskutieren wäre über den technischen Aspekt: Sieben oder acht Songs lang erzeugt das Frontmikro irgendwelche kratzigen Nebengeräusche (der technisch versierte Begleiter des Rezensenten meint, das Audiosignal sei vielleicht zu stark komprimiert gewesen), bis dieses Problem entweder abgestellt werden kann oder aber das Ohr gelernt hat, über dieses Problem hinwegzuhören. Über fast den gesamten Gig aber zieht sich das Problem hin, daß der linke Boxenturm (der Rezensent sitzt deutlich näher an diesem als am rechten) offenbar kurz vor der Übersteuerung steht und klingelndes Geklirr hervorbringt, das den Rezensenten an seinen allerersten Walkman vor mehr als einem Vierteljahrhundert erinnert, wenn er diesen bis kurz vor Anschlag aufdrehte. Dieses Phänomen auszublenden kostet deutlich mehr Energie als das eben genannte, und so macht auch das „Normalprogramm“ an diesem Abend etwas weniger Spaß als sonst, trotz seiner gewohnten Qualitäten – dass Nummern wie „Wenn das so einfach ist“ oder „Herzschlag ist der Takt“ zum Besten gehören, was im deutschsprachigen Poprock je geschrieben worden ist, dürfte niemand ernsthaft bestreiten wollen, und das Publikum ist an diesem Abend natürlich auch nicht anderer Meinung.

Als Überraschung hat „Es gibt kein nächstes Mal“ nach langjähriger Abstinenz wieder seinen Weg in den Set gefunden und macht enorm viel Spaß, vom einen Tick zu künstlich klingenden Saxophon-Intro abgesehen. Eine strukturelle Überraschung lauert noch am Setende: Mindestens ein Vierteljahrhundert lang fungierte „Ich steh‘ auf Licht“ als Hauptsetcloser – diesmal aber kommt es als vorletzte Nummer des Hauptsets und der sonst üblicherweise dort befindlich gewesene (2016 aber auch schon mal verschobene) Überhit „Ohne dich“ schließt den regulären Teil ab, dem noch die Bandversion von „So lang man Träume noch leben kann“ (mit der der Rezensent in diesem Leben nicht mehr warm wird) und „Bis wir uns wiedersehn“ als Zugaben folgen.

Die bis 2012 gepflegte Praxis, danach noch die Instrumente zu tauschen und eine Altrocknummer herunterzuhobeln ist leider auch 2017 nicht wieder reaktiviert worden, auch wenn durchaus noch Zeit gewesen wäre – die bis noch in jüngste Vergangenheit gültige Regel, daß ein normaler MF-Tourgig mehr oder weniger exakt zwei Stunden dauert, findet an diesem Abend keine Anwendung. Trotz der erwähnten kleinen Probleme (die ja überwiegend den lokalen Bedingungen geschuldet gewesen sein dürften, sofern die Band nicht eine eigene Anlage mitschleppt) darf man jedenfalls gespannt sein, was weitere Gigs des Jahres noch bringen werden.


Setlist:
Liebe auf den ersten Blick
Schwerelos
Tausendmal Du
Meergefühl
Du bist Energie für mich
Die neue Freiheit
Katrin
Magnet
Wenn das so einfach ist
Wenn du mich berührst
Herz aus Glas
Was ist Freiheit
Herzschlag ist der Takt
So wie Du
Es gibt kein nächstes Mal
SOS
Tausend Augen
Ich steh auf Licht
Ohne dich (schlaf‘ ich heut‘ nacht nicht ein)
--
Solang man Träume noch leben kann
Bis wir uns wiedersehn

Roland Ludwig


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