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Artikel

Da geht noch was bei Dritte Wahl!

Info

Gesprächspartner: Dritte Wahl (Gunner Schröder)

Zeit: 26.02.2015

Stil: Punkrock

Internet:
http://www.dritte-wahl.de
https://www.facebook.com/drittewahl

Geblitzdingst, das neue Album von Dritte Wahl zeigt mal wieder: bei den Rostocker Punkrockern ist noch lang keine tote Hose angesagt! Zwölf neue Songs in rund 52 Minuten - und das ohne wirkliche Ausfälle. Man steht also auch nach über einem Vierteljahrhundert Musikerdasein immer noch voll im Saft. Zudem wagt man immer wieder einen Blick über den Tellerrand hinaus, der das Genre Punk (manchmal) etwas zu sehr begrenzt. „Erlaubt ist was gefällt“ lautete auch dieses Mal wieder das Motto der Band. Und das betrifft nicht nur die Musik, sondern auch die Texte, die jenseits von jeglichem Plakativem den Spagat zwischen dem Persönlichem und dem Sozialkritischem findet. Machen wir es kurz: wieder ein neues Dritte-Wahl-Album, wieder ein Treffer. Das alleine ist doch schon Grund genug, um Sänger, Gitarrist und Songwriter Gunnar Schröder mal wieder vors Aufnahmemikrofon zu zerren, um ihm unsere Fragen zu stellen.


In der Eröffnungsnummer „Spiegel“ stellst Du Deinem Spiegelbild die Frage „Bist Du glücklich?“. Sieht man die Chartplatzierung Platz 23 an, muss die Antwort wohl ja lauten. Erst einmal meinen Glückwunsch dazu! Trotzdem, nimmt man das äußerst erfreut zur Kenntnis, da man so treue Fans hat oder sieht man das in Zeiten der in den Keller gehenden Albumverkäufe eher etwas ironisch bzw. spaßig - eher so eine Art „nice to have“?

Nein, wir freuen uns. Sicher gehen die Verkaufszahlen zurück, aber das ist ja bei allen so. Man muß sich also trotzdem gegen die „Konkurrenz“ durchsetzen. Es ist ein großes Glück für uns, dass wir eine so treue Hörerschaft haben, und mal ganz ehrlich: in den Charts zu sein finden doch wohl - fast - alle Musikanten toll!

Ansonsten werdet ihre anhand der Reviews wieder äußerst gelobt. Ich bin also nicht der einzige, der Geblitzdingst gut findet. Wird man von so viel positiver Kritik nicht etwas verwöhnt mit der Zeit so ganz nach dem Motto „egal was ich mache, es kommt sowieso gut an“? Wie geht ihr mit Kritik um?

Oh, nein, nicht umsonst haben wir uns wieder fast vier Jahr Zeit genommen um diese zwölf Songs so fertigzustellen, dass sie uns wirklich gefallen. Wir haben in diese Platte fast noch mehr investiert - also Zeit und Energie - als in die letzten Alben. Wir wissen auch sehr genau, dass man sich von einer schlechten Platte nicht so schnell wieder erholt. Positive Kritik streichelt aber sicherlich auch unsere Seelen. Darüber freuen wir uns. Nur ein Grund zum Ausruhen ist das nicht.

Dieses Mal habt ihr wieder mit Jörg Umbreit zusammen gearbeitet. Die Erfahrung mit dem Vorgänger schien also eine gute gewesen zu sein. Mit welcher Einstellung bzw. welchem Ziel seit ihr ans Schreiben und die folgenden Aufnahmen ran gegangen?

Die Gib Acht! haben wir noch in Braunschweig im Whiteline Studio bei Uwe Golz eingespielt und dann im Principal Studio mischen lassen. Bei Geblitzdingst haben wir alles komplett mit Jörg Umbreit gemacht, er hat die Platte produziert und wir haben gemeinsam an den neuen Songs gebastelt. Das hat viel Spaß gemacht. Jörg hat einfach super Ideen und auch das technische Knowhow um diese umzusetzen. Da haben sich für uns ganz neue Möglichkeiten aufgetan.

Die neue Platte ist wie ihr Vorgänger musikalisch wieder ziemlich abwechslungsreich geworden. Gibt es mittlerweile noch Grenzen was die stilistischen Stilmittel betrifft oder wollt ihr eure Fans generell etwas herausfordern bzw. etwas Besonderes bieten?

Bei uns ist alles erlaubt was gefällt. Sollte es beim nächsten Mal ein Mambo oder irgendwas anderes Abwegiges sein, dann machen wir das. Für mich heißt ein buntes Album nicht nur gelbes oder blaues Vinyl. Es besteht aber die Gefahr, dass es doch immer auch Leute geben wird, die den einen oder anderen Song nicht mögen. Das nehmen wir aber in Kauf, denn wir wollen kein Korsett tragen müssen.

Diskografie

Fasching in Bonn (1992)
Auge um Auge (1992)
6 Track Split (EP, 1995)
Nimm drei (1996)
Strahlen (1998)
Hallo Erde (Single, 1998)
Delikat - 11jahrebühnenjubiläum 88-99 (Live, 1999)
Und jetzt? (EP, 2001)
Halt mich fest (2001)
Roggen Roll (Live, 2002)
Meer Roggen Roll (Live, 2003)
Tooth for Tooth (2004)
Fortschritt (2005)
Drei Live (DVD, 2006)
Singles (2007)
20 Jahre Dritte Wahl (DVD, 2008)
20 Jahre, 20 Songs (Live 2009)
Gib Acht! (2010)
Geblitzdingst (2015)
Das bringt mich auch gleich zur nächsten Frage: Was ist Punk im Jahre 2015 eigentlich noch bzw. fühlt ihr euch dieser Szene und/oder Einstellung nach wie vor verbunden? Punk und Alter sind zwei Dinge, die für so manchen nicht so wirklich zusammen gehen, was andererseits widersinnig ist, wenn man sieht, wie viele altgediente Punkbands es mittlerweile gibt.

Ich glaube Punk und Alter geht sehr wohl zusammen, besonders weil die ganzen jungen Punks von früher nun die alten Punks von heute sind. Punk ist älter geworden und nicht alle, die sich früher selbst als Punks betitelt haben sind davon geheilt. Wir merken das auf unseren Konzerten. Da kommen viele Menschen in unserem Alter und drüber und es kommen auch viele junge Leute. Das ist ganz prima so.

Vergleicht man eure letzten Platten mit den Frühwerken stellt man fest, dass die Texte immer weiter weg von einem sozialkritischen Blickwinkel gehen und sich verstärkt in die Richtung „Persönliches“ bewegen. Gerade Songs wie „Immer auf der Reise“ oder „Noch einmal“. Ist die Zeit der lauten Töne und fürs Anprangern nach all den Jahren in gewisser Weise vorbei? Ich möchte ja erst gar nicht den Begriff „erwachsen“ in den Mund nehmen.

Eigentlich sind auf Geblitzdingst sogar mehr politische Lieder als auf den letzten Platten. Sie sind vielleicht nicht mehr ganz so plakativ aber Songs wie „Zu wahr um schön zu sein“, „Sirenen“, „Teufel & Dämonen“, „Eure Zukunft“ und sogar „Geblitzdingst“ sind schon politisch. Aber uns interessieren auch andere Themen. Das ganz normale Leben! Da gibt es neben der Politik auch noch Familie, die Liebe, Freunde, Vergangenes, Träume, Sehnsüchte usw. Mit 45 Jahren kann man natürlich auch schon mal über die „gute alte Zeit“ singen. Das geht mit 20 nicht.

Ist es nach all den Jahren nicht zunehmend schwerer sich neue spritzige Musik und Texte einfallen zu lassen? Noch nie eine Schreibblockade gehabt?

Ich habe nach so einem Album immer die TOTALE Schreibblockade. Die ersten ein bis zwei, manchmal sogar drei Jahre bringe ich keinen Text zu Papier. Ich bekomme dann immer schon Angst und denke: „Das kommt nie wieder - es ist vorbei“. Aber wenn man die Ruhe bewahrt und es nicht so sehr drauf anlegt kommt es von ganz allein zurück - bis jetzt jedenfalls. Meine Jungs sind auch vorsichtig im Umgang mit mir und treiben mich nicht. Das wäre sicher kontraproduktiv.

Dritte Wahl sind jetzt schon über ein Vierteljahrhundert alt und ihr habt bisher schon sehr viel erlebt. Gibt es nach all der Zeit noch Wünsche oder große Ziele, die man sich unbedingt erfüllen möchte?

Ich würde schon gern mal auf den „großen“ Festivals spielen. Rock am Ring, Rock im Park, Hurricane usw. Vielleicht geht das ja irgendwann mal!?

Ihr tretet jetzt schon so einige Zeit nicht mehr zu dritt, sondern zu viert auf. War dies anfangs nicht eine Umstellung? Möchtet ihr den vierten Mann nicht mehr missen?

Ja, es war schon ganz schön anderes, aber es hat uns sofort Spaß gemacht. Zu dritt ist man gerade live schon sehr limitiert. Das hat auch Vorteile. Man beschränkt sich auf das Wesentliche, aber nach so vielen Jahren ist es ganz angenehm nochmal ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten zu haben.


Demnächst seid ihr einige Zeit mit COR unterwegs. Verbindet euch außer den Bock aus Livespielen und die Leidenschaft für die eigene Musik sonst noch etwas? Ihr lebt ja beide auch an der Ostsee und auch COR haben vor nicht langer Zeit wie ihr eine Kuba-Exkursion hinter sich, worüber sie auch eine Dokumentation gedreht haben. Ebenso ein verbindendes Element?

Wir sind Seelenverwandte. Wir kennen uns schon lange und es kommt mir eigentlich so vor, als ob wir uns schon immer kennen würden. Die COR-Knaben haben übrigens auch ein neues Album am Start. Das heißt Lieber Tod Als Sklave und geht ganz schön ab (was uns Jens Helbing auch so bestätigt hat - Anm.d.Red)!

Apropos Kuba: Euer Merchandiser Luckas hat an eurem Stand wieder kräftig für seine Projekte in diesem Land gesammelt. Ist das auch für Euch eine Herzensangelegenheit? Gerade durch die Ereignisse in den letzten Zeit ist das Land wieder im Munde. Ob hiervon wohl auch „der kleine Mann“ profitiert?

Also, von Luckas' Projekten profitiert der kleine Mann/die kleine Frau. Aber ich glaube wenn das Embargo fällt - was sich natürlich alle wünschen - wird der Kapitalismus schneller auf der Insel sein, als man denkt. Der erste McDonald's ist wahrscheinlich schon geplant. Man weiß nicht so recht, was man diesem tollen Land wünschen soll. So oder so, es wird eine harte Zeit.

In Sachen Merchandise achtet ihr immer mehr auf das Thema „Fair Trade“. Ist es nicht schwer, hier das Gleichgewicht zwischen Fairness und Endpreis zu finden? Schließlich bringt es nicht entsprechende Shirts herstellen zu lassen, wenn sie keiner kauft. Inwieweit könnt ihr euren Lieferanten in dieser Hinsicht vertrauen?

Die Sachen sind heutzutage gar nicht mehr so viel teurer als „normale“ Shirts. Wir vertreten den Standpunkt, dass es einfach nicht okay ist in seinen Liedern das Übel der Welt anzuklagen und dann nebenher Shirts zu verkaufen, die von Kindern oder Arbeiterinnen zu Hungerlöhnen und unter katastrophalen Bedingungen genäht und gefärbt werden. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir alle, dass das nicht okay ist. Manchmal sollte man den inneren Schweinhund überwinden! Die Hersteller unserer Shirts werden regelmäßig überprüft. Darauf MÜSSEN wir uns verlassen.

Zum Abschluss: Wenn Dritte Wahl einem bestimmen Credo folgen müsste, wie würde es lauten?

Da geht noch was!


Mario Karl


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